: Timm Kruse
: Roadtrip mit Guru Wie ich auf der Suche nach Erleuchtung zum Chauffeur eines Gurus wurde
: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783944296463
: 1
: CHF 8.90
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 336
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit 38 Jahren trifft Timm Kruse bei einem Festival auf einen indischen Guru und lauscht gebannt seinen Worten. Die Begegnung verändert etwas in ihm - von heute auf morgen lässt er seine Familie und sein altes Leben hinter sich und begibt sich auf die Suche nach Erleuchtung. Ehe er sich versieht, lebt er im Ashram des Gurus in Indien, geht als sein Chauffeur mit ihm auf Weltreise durch Kanada, die USA und Europa. Doch je länger er mit dem Guru unterwegs ist, desto mehr beginnt das Bild des Erleuchteten zu bröckeln. Ist er am Ende etwa auch nur ein ganz normaler Mensch? Authentisch und mit viel Witz erzählt Timm Kruse von seiner spirituellen Reise und gibt einen faszinierenden Einblick in das Leben eines waschechten Gurus.

Timm Kruse wurde 1970 in Lippe-Detmold geboren, hat Sprach- und Literaturwissenschaften in Saarbrücken und Wolverhampton studiert. Nebenbei arbeitete er für verschiedene deutsche Tageszeitungen. Seit 1997 ist er Fernseh-Redakteur, unter anderem für den NDR und das ZDF. Er war Wissenschaftsjournalist bei 'Planetopia' und Sportreporter bei 'ran'. Eines Tages hatte er endlich den Mut, Bücher zu schreiben. Denn das wollte er schon immer.

Der Weg


In dieser ganzen Geschichte habe ich ein einziges Mal mit dem Guru Fußball gespielt. Für eine Sekunde oder zwei. Auf einem Autobahnrastplatz in Niedersachsen. Während unserer insgesamt Zwölftausendkilometertour quer durch Europa war Fußball die letzte Verbindung zu meinem alten Ich.

Der Ball flog zwischen zwei Wohnmobilen und einem Multivan hin und her. Drei weiß gekleidete Jünger versuchten, den Ball so lange wie möglich in der Luft zu halten und von einem zum nächsten zu passen.

Einer der drei Jünger war ich.

Plötzlich stand der Guru zwischen uns. Sofort passte einer von uns so gefühlvoll wie möglich zum Meister. Es war in diesem Moment die größte Ehre, das Leder mit ihm zu teilen. Der Gebenedeite berührte zum ersten Mal in seinem Leben einen Fußball. Da ihm keinerlei Grenzen gesetzt waren, setzte er zu einem gewaltigen Schuss an– als schlüge er einen Fünfzigmeterpass in Richtung Autobahn. Ohne Ballgefühl erwischte er die Pille aus voller Wucht mit dem Knie und seine Sandale flog davon. Der Ball hingegen landete unter der Nase unseres Angebeteten, sein zotteliges Haupt klappte nach hinten und sein Hut segelte auf den Asphalt der Raststätte Damma Berge. Was dann geschah, war nicht zu erklären: Der Gesalbte verharrte in genau dieser Position; sein Fuß in der Luft, sein Hinterkopf auf dem Rücken. Das Standbein angewinkelt. Meliertes Haupthaar und struppiger Bart standen parallel zur Autobahn. Es sah fast so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben– wie auf einem Standbild von Monty PythonsMinistry of Silly Walks. Wenn nicht der Ball neben dem Guru langsam ausgetippt und weggerollt wäre.

So viel Gewalt hatte dieser holde Mensch während seiner 39 heiligen Jahre in dieser Reinkarnation nie erfahren. Was in diesem unwiderruflichen Moment geschah, durfte nicht geschehen. Ein von Gott Gesandter wird nicht geschlagen. Erst recht nicht mitten ins Gesicht. Vor allem nicht von einem Lederfußball namens Teamgeist. Nach der Zeit, die eine Sandale braucht, um aus zehn, zwölf Metern auf die Bürgersteigkante zu schlagen, fing sich der Guru wieder. Sein Kopf kreiste nach vorne, seine Haare fielen herab. Seine alabasterfarbene Fußsohle traf auf den Boden. Die Knie gerade durchgestreckt. Nur sein Gesicht erschien leicht verändert. Nicht die Nase, die vielleicht ein bisschen gerötet war. Vielmehr der Ausdruck im Allgemeinen. Vergleichbar mit einem Erdhörnchen, dem ein Blitz die Schwanzspitze versengt hatte. Der Guru hob seinen Hut auf und schlüpfte ungelenk in seine Sandale. Benommen stakste er davon. Nach wenigen Metern schaute er sich kurz um. Doch von der Szene war nichtsübrig geblieben. Selbst der Ball verharrte außer Sichtweite. Als würde er sich verstecken. Wir standen da wie erstarrt.

Wenige Wochen nach Teamgeists Volltreffer existiere ich als Jünger nicht mehr. Und noch ein wenig später fange ich an, alles aufzuschreiben: Vor meinem inneren Auge tauchen schlafende Elefanten in Schlaglöchern indischer Highways auf; ich sehe mich mit weiß gekleideten Amerikanern einen Hügel hinunterkullern. Ich fauche wie ein Krokodil, um meinem Körper Inner Yoga beizubringen. Ich streichele die schweren Brüste einer jungen Schwedin und habe Heimweh nach Deutschland. Zwischendurch erscheint mir der Leibhaftige. Vielleicht ist es aber auch der Heiland. Wer könnte das unterscheiden?

Ich reise in neun Monaten durch zwölf Länder. Ich gehe zu Fuß, fahre auf Schiffen und mit der Bahn, fliege mit dem Flugzeug und lege Tausende von Kilometern mit dem Auto zurück. Denn ich bin der Chauffeur dieses Gurus.

Dabei sitze ich jetzt wieder in diesem alten Leben. Am gleichen Schreibtisch in der gleichen Wohnung. Ich komme mir vor wie ein umgepflanzter Baum. Zum ersten Mal mag ich Deutschland. Außerdem spielt Gladbach die beste Saison seit den Siebzigern.

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinem brüchigen Glauben an mein Vaterland. Ich gehe nicht ran.AshramHandy steht auf dem Display. Es sind immer die gleichen scheinheiligen Anrufe von den Lakaien des Gurus. Wie es mir geht und was ich mache.

Ich hätte meine Nummerändern sollen. Diese Anrufe zerren an meinen feinen Wurzeln. Mein Zustand ist nicht witterungsbeständig. Vor einer Woche bin ich am Morgen nach einem solchen Anruf weinend aufgewacht. Zum ersten Mal kam die Trauer hinter der Wut zum Vorschein. Ich weiß, dass ich Jahre brauchen werde, um diese Geschichte zu verarbeiten.

Vom Guru selbst habe ich nie wieder etwas gehört. Seine letzten Worte an mich waren:»I love you!«

Der Guru saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Zwischendurch hatte seine Nase angefangen zu bluten. Das tat sie jetzt nicht mehr. Er hatte seit Teamgeists Volltreffer kein Wort geredet. Die Damma Berge lagen zweihundert Kilometer hinter uns. Wir befanden uns kurz vor Köln, wo Hunderte von Anhängern auf uns warteten.

Ich navigierte uns mit 120 Stundenkilometern durch ein Gewirr von Autobahnen. Zwischen dem Guru und mir hockte seine heimliche Geliebte. Aber davon wusste ich in dem Moment noch nichts. Hinter mir waren Betten und Bänke doppelt und dreifach belegt. Dazu kauerten einige Fans des Heiligen auf dem Boden. Ein Dutz