I
Ach, Paula, mach die Bluse zu
Am liebsten spiele ick uff unsern Hof
mit Helga, Hannelore und mit Frieda.
Und an die Hauswand schreib ich »du bist doof«.
Krieg ich ooch Keile, ich tu’s immer wieda.
Erika Brüning
»Versuch es noch einmal«, ermahnte mich Großmutter.
»Junge, du musst das doch begreifen! Frühling will nun ein-maar-schiern – kommt mit Sang und Schalle… «
Ich stand da in meinen zu langen Kniehosen, ein Säbelbein nach hinten gestellt, der Wadenstrumpf heruntergerutscht, begriff nichts. Wer waren Sang und Schalle? Zwei Kintoppkomiker wie Dick und Doof, über die ich bei der Kindervorstellung lachte im Zeli-Kino? Zu hoch für einen Siebenjährigen aus der Laubenkolonie. Amsel, Drossel, Fink und Star –, das ging, da stellte ich mir was vor, die Vögel lebten in den Gärten, Amsel und Drossel blieben manchmal im Winter, traten den Zug nach Süden nicht an, ich streute ihnen Futter ins Häuschen, das ich mithilfe meines Vaters gebastelt hatte, nach der Anleitung inHilf mit, der Jugendzeitschrift, auf Befehl der Schule abonniert, zwölf Hefte im Jahr, Pimpfe auf dem Titelbild, die Erbsensuppe abkochten im Hordentopf, lachende BDM-Mädchen mit blonden Zöpfen, gesunden Zähnen. »Oma«, bat ich, »erkläre mir: Wieso Amsel, Drossel? Die bleiben doch bei uns im Winter. Stare, weiß ich, kommen im Frühling zurück aus dem Süden.«
Großmutter strich mir über das kurz geschorene Haar. Von ihr, nur von ihr duldete ich es. »Auch Amseln und Drosseln fliegen fort, wenn es kalt wird. Nur einige bleiben hier, überwintern bei uns. Holen sich Futter aus deinem Vogelhaus. Wenn es warm wird, kommen die anderen zurück. Aus Afrika, Griechenland, Italien. Aus fernen Ländern, in denen immer die Sonne scheint. Die Drossel singt wunderbar, wenn der Frühling naht.«
Meine Großmutter sagte »naht«. Was fand sie an einem Lied, das behauptete, der Frühlingmarschiere ein?
Nie wieder habe ich den Frühling so erlebt wie in jenen Kindertagen in der Geborgenheit der Laubenkolonie, die Sinne geschärft für alles, was um mich herum geschah. Schön war die Kolonie, mit ihren leuchtenden Gärten, ihren Menschen und Tieren. Dass es drei-drei-drei bei Issus Keilerei gab, stopfte ich mir später in den Schädel. Und die Konstantinische Schenkung. Und den Gang nach Canossa. Und Lützows wilde, verwegene Jagd.
Für jede neue Schulerkenntnis opferte ich ein bisschen von dem, was ich damals, als kleiner Junge, von der Großmutter wusste: Wann die Schafgarbe blüht, wie man Tee aus ihr bereitet und wogegen er gut ist; wann die Drossel zu singen, der Fink zu schlagen beginnt; wohin die Störche flogen, die bei Hinrichsen auf dem Scheunendach ihr Nest hatten.
Ich wusste es so lange, bis auch ich aus dem Nest fiel. Mein Nest war die Laubenkolonie Tausendschön, draußen am Rand der großen Stadt gelegen, wo Kiefern- und Eichenwälder begannen. Wo die Füchse im Krummen Fenn zweimal im Jahr Junge bekamen. Wo meine Großmutter mir Geschichten erzählte, während der Kaffee in der braunen Bunzlauer Kanne auf dem Her