: Robert Jungk
: Strahlen aus der Asche Geschichte einer Wiedergeburt
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783688100446
: 1
: CHF 10.00
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: Politik
: German
: 356
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der 6. August 1945 bleibt in die Geschichte der Menschen eingebrannt. Die erste Atombombe, die an diesem Tag auf Hiroshima fiel, hat Zerstörungen hinterlassen, die auch heute noch nicht getilgt sind, Zerstörungen an den Körpern und Seelen der Überlebenden. Ihren Schicksalen ist Robert Jungk nachgegangen. «Ich kam», schreibt er, «als Reporter, aber je länger ich mich mit dieser Story beschäftigte, um so klarer wurde mir, daß ich nicht außerhalb und über ihr stand, sondern ein Teil von ihr war.» Im Januar 1980 reist der engagierte Kernkraftgegner Jungk ein zweites Mal nach Hiroshima, gut zwanzig Jahre nach seinem ersten Besuch. Er knüpft neue Kontakte, frischt alte auf und folgt seinen früheren Recherchen. Was er im Anschluß an diese zweite Reise der ersten Fassung von «Strahlen aus der Asche» anfügt, vervollständigt sein Dokument vom Schicksal einer Stadt und ihrer Menschen und gibt Aufschluß über Hiroshima - eine Generation danach.

Robert Jungk wurde 1913 in Berlin geboren und starb 1994 in Salzburg. Er arbeitete nach 1933 in Frankreich und im republikanischen Spanien an Dokumentarfilmen und schrieb von 1940 bis 1945 für die «Weltwoche» in Zürich. Er hatte einen Lehrauftrag für Zukunftsforschung an der TU Berlin und war Vorsitzender der Gruppe «Mankind 2000» in London. Das Thema, das er in «Die Zukunft hat schon begonnen» anschlug, wurde später in «Heller als tausend Sonnen» (1956) und «Strahlen aus der Asche» (1959) vertieft, international berühmten Büchern, die eindringlich vor den Gefahren der entfesselten Atomkraft warnen. Sein 1973 veröffentlichtes Buch «Der Jahrtausendmensch» führte 1975 zur Gründung einer «Fondation pour l'invention sociale», die Ansätze zu einer humaneren Technologie und Gesellschaft koordinieren und fördern soll. 1977 veröffentlichte er «Der Atom-Staat», eine eindringliche Warnung vor den entmenschlichenden Folgen einer uneingeschränkten Atomenergie-Nutzung.

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«Wirst du morgen noch leben?» («Kimi wa Asu Ikiru ka»), so heißt der Titel einer Sammlung von Aufsätzen und Erlebnisberichten, die Söhne und Töchter von Atomgeschädigten im Jahre 1972 veröffentlichten. Sie wollten damit die ihnen immer wieder versagte Anerkennung als späte Opfer der Bombe erreichen. Unter dem Sammelnamen «hibaku nisei» hat sich diese jüngere Generation der «hibakushas» zusammengefunden. Einige von ihnen erlebten den «Pikadon» und die schweren Jahre danach als Kinder, andere sind «in utero»-Fälle, deren Mütter mit ihnen schwanger gingen, als das Unheil zuschlug, und schließlich sind dabei auch junge Mädchen und junge Männer, die wie Fusako Ueno erst Jahre nach der Katastrophe von Strahlengeschädigten gezeugt wurden.

Wie sie fühlen und was sie fürchten hat mir Fusako geschildert: «Ich habe Genetik und Physik studiert. Die Lehrer wurden meine guten Freunde. Aber meine dringendsten Fragen beantworteten sie dennoch nicht. Zum Beispiel Professor Naomi Shono, der das Buch ‹Strahlung und die Atombombe› geschrieben hat. Davon handelte auch seine Vorlesung. Ich fragte ihn nachher über meine Mutter aus, die sich weigert, zum Arzt zu gehen, obwohl sie leidend ist, weil sie Angst vor dem hat, was er bei ihr finden könnte. Und ich wollte auch wissen, ob ich genetisch belastet sei. Aber er gab mir nie eine klare Antwort. Je mehr ich über die Wirkungen der Bombe erfahre, um so unsicherer werde ich. Die Leute beruhigen mich und sagen, ich sei doch lange nach dem Bombardement zur Welt gekommen. Aber ich quäle mich trotzdem mit Zweifeln. Wie sehen meine Erbzellen aus? Sind nicht vielleicht einige Gene in meinem Körper verkrüppelt? Ich habe Angst, zu heiraten und ein Kind auszutragen.»

Eines der Argumente der amerikanischen Ärzte und Biologen gegen eine umfassendere und häufigere Untersuchung der Überlebenden und ihrer Kinder stützt sich auf die an sich zutreffende Beobachtung, daß dadurch die «Neurotisierung» der Überlebenden und ihrer Nachkommen unvermeidlich gesteigert werde. Aber läßt sich dieser seelische Nebeneffekt überhaupt vermeiden? Sind Gerüchte und Vermutungen nicht noch belastender? Es genügt ja nicht, denen, die «dabei» waren, und ihren Nachkommen zu versichern, daß «nur zehn Prozent» von ihnen unter den Folgen der Bombe zu leiden haben würden, wenn – wie jedermann weiß – über 300000 Menschen als «hibakusha» anerkannt werden mußten und nicht ein einziger von ihnen als wirklich gesund gelten kann; sie alle haben nicht nur unter den biologischen, sondern auch den soziologischen und psychologischen Folgen der plötzlichen Vernichtung ihrer Stadt, ihrer Familie, ihres Freundeskreises gelitten und leiden weiter.

Äußerlich scheint Hiroshima vergessen zu haben, aber es gibt – abgesehen von den vielen Neuankömmlingen – dennoch keine Familie, in der nicht auch heute noch fast Tag für Tag über das Unheil gesprochen wird, das ein einziger Fliegerangriff über alle brachte. Das hat mir der Soziologe Professor Yuzaki versichert, der sich bemüht, die gesellschaftlichen und seelischen Folgen des Bombardements zu untersuchen. Einige Leidenswege haben für alle, auch für diejenigen, die nicht oder noch nicht – das «noch nicht» verdüstert jede Aussicht – das Schlimmste durchmachen mußten, exemplarische Bedeutung gewonnen. So wurde zum Märtyrer der «hibaku nisei» ein Knabe namens Fumiki Nagoya, der im August 1960 zur Welt kam und spätes Opfer eines Krieges werden mußte, der fünfzehn Jahre vor seiner Geburt beendet worden war. Kurz vor seinem fünften Geburtstag erkrankte der Kleine an Leukämie. Durch Bluttransfusionen wurde er am Leben gehalten und konnte sogar für kurze Zeit in die Schule gehen. «Fumi» lernte dort schreiben und malen, so daß er später als Bettlägeriger ein Tagebuch führen konnte. Im Februar 1968 ist dieser junge «hibaku nisei» gestorben. Die Eltern, die alle Phasen dieses zu kurzen Lebens aufgezeichnet hatten, veröffentlichten 1968 ihren Bericht über diese Passion unter dem Titel: «Ich wollte leben. Der Tod eines ‹hibaku-nisei›» («Hibaku Nisei Fumiki-chan no Shi»). Der Eindruck, den dieses von einem großen Verlag in Tokio veröffentlichte Buch machte, war so groß, daß daraufhin die Probleme der «zweiten Generation» von «hibakushas» erstmals in ganz Japan diskutiert wurde. Aber erst im Februar 1980 entschloß sich das Gesundheitsministerium de