: Haroon Gordon
: Palast aus Staub und Sand
: hockebooks: e-book first
: 9783957511577
: 1
: CHF 7.10
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: Erzählende Literatur
: German
: 312
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eines Abends ist er einfach da. Baptiste, der scheue, junge Mann, von dem niemand in der verschlafenen Ortschaft in der Provence weiß, woher er gekommen ist. Und er scheint dort sein Glück zu finden, bis Jahrzehnte später seine verschwiegene Vergangenheit aufersteht. Mit aller Macht ziehen ihn die Erlebnisse vergangener Tage wieder in ihren Bann, und mit ihnen die Erinnerungen an Abda, das längst vergessene Frauengefängnis in der algerischen Wüste, in dem eine ungewöhnliche, tiefe Freundschaft, aber auch sein dunkelstes Geheimnis begraben liegen. Eines, das in einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit immer weiter an die Oberfläche drängt ...

Kapitel 8


Das Telefonat verlief verblüffend anders, als Ella es sich vorgestellt hatte. Drei Stunden waren sie gewandert, bis einer von ihnen endlich ein Handysignal empfing. Und dann erreichten sie Onkel Shawn nicht einmal, sodass sie gezwungen waren, eine Nachricht mit der Bitte um sofortigen Rückruf auf seinem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Wie unbefriedigend. Zum Warten setzten sie sich auf einen großen Fels am Wegesrand und redeten über lapidare Dinge. Ella achtete dabei auf Körperabstand, doch Jason nahm immer wieder und wie selbstverständlich ihre Hand und spielte gedankenverloren mit ihren Fingern. So, wie er es schon seit Jahren tat.

Ella ließ diese spielerische Geste seiner Nähe so steif werden, dass sie nach einer Weile Nackenschmerzen bekam, was er wiederum bemerkte. Er zog sie zu sich herüber, setzte sich hinter sie und begann, ihren Nacken zu massieren. Ella stockte der Atem. Wie sanft sich seine Hände anfühlten. Aber genießen konnte sie diese Situation nicht im Geringsten. Im Augenblick war sie einfach nur überfordert, und es nagte die Frage an ihr, ob sie in Jason tatsächlich schon seit Langem verliebt war und sich so effektiv davor geschützt hatte, dass sogar sie selbst auf ihre eigene Leugnung hereingefallen war.

Was sie zu der nächsten Frage brachte, wovor sie sich eigentlich schützen musste. War es die Angst, abgewiesen zu werden? War es die Sorge, nicht genügen zu können? Dem Vergleich nicht standzuhalten? Als Liebhaberin, als Gefährtin? War es das Unbekannte, das Berührtwerden, die Öffnung, die Schutzlosigkeit? Ella wusste nicht einmal, wo sie anfangen sollte zu suchen.

Warum in aller Welt gab es eigentlich kein Schulfach über das Lieben-lernen? Warum waren Geometrie, Geschichte und Erdkunde für die Entwicklung eines Menschenwesens wichtig, während man gleichzeitig hilflos, allein und tollpatschig wie ein Bärenjunges durch ein Labyrinth beängstigender Gefühle irren musste, ohne den kleinsten Kompass in der Hand? Warum gab es stattdessen Sexualkundeunterricht? Als ob damit das Wesen der Liebe erklärt wäre. Oder ging es tatsächlich nur darum, junge Menschen vor Schwangerschaft und Infektionen zu schützen? Ella seufzte. Sie hatte von niemandem Hilfe zu erwarten. Kein besonders ermutigender Gedanke. Ihr fiel ein, wie sie sich bei ihren ersten Intimitäten gefühlt hatte. Damals mit Pitt. Es war furchtbar gewesen. Ohne Zärtlichkeiten waren sie durch einen Nebel aus Alkohol und Konventionen gestreift. Sie hatte sich in dieser Nacht eingeredet, den Sex ebenso zu wollen wie er, doch sie tat dann nicht mehr, als sich zu überwinden. Weil sie genügen wollte, und weil sie sich nicht traute, ihm Einhalt zu gebieten, um bloß nicht den Makel der Prüden aufgedrückt zu bekommen. Und so war sie nach kaum einer Viertelstunde in den Kreis derHinter-sich-Bringerinnen aufgenommen worden.

Überwindung war es, womit sie Liebe in Verbindung brachte. Was für ein Dilemma! Da ma