2. Ein Lebensplan
Livia hatte von den Festspielen erzählt, von der buntgemischten, erregten Welt jenseits des Toten Gebirges, die nur eine kleine Autostunde und zugleich sternenweit von unserem Grafenegg entfernt lag. Nach Tisch war ein gewaltiges Alpengewitter niedergegangen. Nun aber hatte sich eine durch den Aufruhr entkräftete Augustsonne hervorgekämpft und umspülte angenehm die Terrasse, auf der wir saßen und in den erschöpften und reingeweinten Park hinaussahen. Wir waren allein.
»Und du, Theo«, fragte Livia, »warst du gut aufgehoben und hast anständig gearbeitet all die Tage?«
»Aufgehoben war ich herrlich, wie immer bei euch, und gearbeitet hab' ich – ganz anständig.«
Ich log. Livia nämlich legte stets großen Wert darauf, daß ich in ihrem Hause mit gutem Gelingen arbeite. Es war ihr Ehrgeiz. Ich sah sie an. Die Frau, die mir so viel bedeutete, war schön wie eh und je. Sie hielt die wie aus mattem Selenit geschnittene Stirn gesenkt, denn ihre Hände waren mit einer Strickerei in Grellgrün beschäftigt. Mir ging mein eigenes Schicksal durch den Kopf. Als geistiges Wesen nahm man mich ernst, erwies mir Achtung, schrankenlose Freundschaft und Sympathie. Als Mensch aber war die letzte Tür immer vor mir zugefallen, und ich hörte den Riegel knirschen. Ich schien der geborene Gast zu sein, ein abseitiger Gefährte, dem man vertraute, weil er als Gegenspieler in der gierigen Partie des Lebens nicht in Betracht kam. Lag es an den andern? War's eine verborgene Schwäche und kühle Teilnahmslosigkeit meines eigenen Wesens? Oder hatte es nur Livia so weise verstanden, mich genau an der Grenze ihres Bannkreises zu halten, damit das Schöne zwischen uns allen nicht in die Brüche gehe? Gleichviel, heute, in meinem fünfundvierzigsten Jahr, glaubte ich, gewisse Bitterkeiten endlich überwunden zu haben, und nahm eine Stunde wie diese als ein Geschenk hin. Livia sah von ihrer Arbeit auf.
»Du hast noch niemals einen so guten Stoff gehabt, Theo. – Ich glaub', mit diesem Buch wirst du dein Glück machen.«
»So optimistisch bin ich leider nicht, liebste Livia. – Im Gegenteil, ich wünsche diesen und alle historischen Stoffe zum Teufel.«
»Es ist eine deiner nettesten Eigenschaften, Theo, daß du so gar keine Witterung für das Aktuelle und das Erfolgreiche hast. – Glaubst du vielleicht, es sei ein Zufall, daß die Leute heutzutage einander die historischen Schmöker und Biographien aus den Händen reißen?«
»Ich halt's durchaus für keinen Zufall, sondern für das genaue Zeichen unserer chimborassohaften Unkultur, Kunstferne und Geistfeindschaft. – Die Leute fürchten sich vor allen Gedanken und Gestalten der Phantasie, das ist etwas ›Erfundenes‹ für sie; sie suchen aber das, was sich ›wirklich‹ ereignet hat, und zwar ›genauso‹. Sie suchen nichts anderes als geschickt zusammengestellte Zeitungsausschnitte aus vergangenen Jahrhunderten, die irgendeiner von diesen brillanten Routiniers mit seinem eigenen Senf anrichtet. – Ich kann dir gar nicht sagen, wie mir all der brokatene Klatsch zuwider ist, diese würzige Psychologie, diese snobistis