Geburtsvorbereitungskurs oder die Rituale indigener Völker
Wir sind erst vor ein paar Monaten aus dem Ausland zurück in meine Heimat, die Schweiz, gezogen und an unserem jetzigen Wohnort kenne ich noch nicht allzu viele Leute, besonders keine mit kleinen Kindern. Ich entschließe mich deshalb, einen Geburtsvorbereitungskurs im nahe gelegenen Krankenhaus zu besuchen. Nicht etwa weil ich herausfinden möchte, wie viele dokumentierte Schwangerschaftsbeschwerden es nun tatsächlich gibt, welche Gebärpositionen während den Presswehen besonders förderlich sind oder ich mich mit Begriffen wie»Mayahocker« und»Pezziball« vertraut machen möchte, sondern weil ich denke, dass es eine gute Gelegenheit ist, um andere werdende Eltern kennenzulernen.
Mein Mann und ich machen uns auf den Weg, nachdem wir die nötigen Sachen gepackt haben. Mitzubringen sind ein T-Shirt, eine praktische Turnhose, rutschfeste Socken und ein Badetuch. Ich frage mich insgeheim, ob ich mich wirklich für den pränatalen Kurs angemeldet habe oder ob ich aus Versehen beim postnatalen Rückbildungsturnen eingetragen worden bin, vor allem weil man sich um 19.00 Uhr in der Krankenhausturnhalle einzufinden hat. Doch in den Umkleidekabinen bestätigen mir die verschiedenen Kugelbäuche sofort, dass meine Kursanmeldung problemlos und ohne Verwechslungen verlaufen ist.
Nun sitzen wir alle in bequemer Jogginghose, obwohl uns Frauen nicht mehr nach Joggen zumute ist, in einem Halbkreis auf unseren Badetüchern auf dem Turnhallenboden. Es dauert eine ganze Weile, bis wir Schwangeren eine einigermaßen bequeme Position gefunden haben. Einige liegen auf der Seite, ein Kissen unter dem Bauch, eines zwischen den Knien. Andere sitzen im Schneidersitz, der Bauch so groß, dass sie ihn problemlos auf den Oberschenkeln abstützen können. Die Männer dagegen müssen sich mit ganz anderen Problemen herumschlagen. Sie beäugen sich gegenseitig undüberlegen wahrscheinlich im Stillen, wer von ihnen denn nun die besten Turnschuhe anhat– natürlich trägt kein einziger von ihnen rutschfeste Socken, was ich gänzlich verstehen kann. Rutschfeste Socken sind etwa so en vogue wie die Mode der 80er-Jahre, ich denke da spontan an Schulterpolster der Größe einer südamerikanischen Mango und riesige geföhnte Dauerwellenà la Flashdance. Auch ich habe mich in diesem Punkt der Packliste widersetzt und bin barfuß. Ich riskiere lieber einen Fußpilz, als dass ich Socken mit roten Gummipunkten trage.
Die Kursleiterin, eine junge Hebamme mit burschikosem Kurzhaarschnitt, heißt uns herzlich willkommen und macht eine kurze Vorstellungsrunde, in der wir auch gleich noch sagen sollen, was für Erwartungen wir an den Kurs haben und welche Fragen wir geklärt haben möchten. Erwartungen? Fragen?Äh, darf man auch einfach zwecks geselligen Zusammenseins und Kontaktaufnahme mit Menschen in einerähnlichen Lebenssituation teilnehmen? Doch Gebären scheint eine ernste Sache zu sein und schon sehr bald reden wir nicht mehrüber die gegenseitige Befindlichkeit, sondernüber Nabelschnurblut und Stammzellen, die Risiken einer Periduralanästhesie, Saugglocke und Sterngucker. Sterngucker? Was um alles in der Welt ist das denn? Ein an Astronomie interessiertes Neugeborenes wohl eher nicht. Ich hätte mich vielleicht besser bei einem einschlägigen Social-Media-Forum anmelden sollen, als einen Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen.
Die nette Hebamme hört sich geduldig alle Fragen und Erwartungen an, macht fleißig Notizen und verspricht, später darauf zurückzukommen, beendet die Vorstellungsrunde dann aber gekonnt, indem sie einen Haufen blauer Kärtchen auf dem braunen Turnhallenboden verteilt. Mit zugekniffenen Augen versuche ich die Wörter zu lesen, die mit dunkelblauem Filzstift so sorgfältig und gleichmäßig auf die Kärtchen geschrieben worden sind, als handle es sich um die Gästenamen bei der Sitzordnung hochzeitlicher Feierlichkeiten. Doch als meine kurzsichtigen Augen die ersten paar Begriffe entziffern können, vergehen mir jegliche Assoziationen mit rauschenden Festen und kreativer Tischdekoration. Da stehen Wörter wieÜbelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Zahnfleischbluten und unheilverkündende Fachausdrücke wieÖdeme, Varizen, Konstipation und Präeklampsie. Unsere Hebamme scheint nicht viel von der Kraft positiven Denkens zu halten und pflügt unbeirrt durch das große Feld der Schwangerschaftsbeschwerden. Nun dürfen wir Frauen die Kärtchen mit denjenigen Begriffen holen, die wir in den letzten Monaten am eigenen aufgequollenen Leib erfahren haben. Die Frau zu meiner Rechten hält einen Stapel Kärtchen in der Hand, so groß, man könnte meinen, sie bereite sich auf eine Vokabelprüfung in Französisch vor und nicht auf eine Geburt. Sie erzählt der Gruppe mit angespannter Miene vom Martyrium der letzten Wochen: Senk