1. KAPITEL
Melanie Warren hatte sich viel von ihrem Urlaub versprochen. Sie wollte mit ihrer besten Freundin nach London fliegen, dort ein Auto mieten und durch die frühlingshafte englische Landschaft fahren. Ein festes Ziel hatten sie sich nicht vorgenommen, sie wollten anhalten, wo oder wann ihnen danach zumute war.
Leider kam dann alles anders. Delia stellte fest, dass sie schwanger war, und der Doktor legte ihr dringend nahe, während der nächsten drei Monate nicht zu verreisen.
„Ich freue mich wirklich für die beiden“, sagte Melanie zu ihrer Kollegin Sharon. „Delia und Sam wünschen sich schon lange ein Kind, aber konnten sie nicht bis nach der Reise warten? Es war so ein schöner Plan. Für die erste Nacht hatten wir Zimmer in einem Schloss bestellt, und danach wollten wir uns einfach treiben lassen.“
„Vielleicht könnt ihr im nächsten Jahr fahren“, meinte Sharon tröstend. „Und vergiss nicht, dass die Sache auch ihr Gutes hat. Mit dem gesparten Geld kannst du einen Einkaufsbummel machen.“
„Wenn das so wäre“, seufzte Melanie. „Das Flugticket war verbilligt und wird nicht ersetzt.“
„Ach herrje! Dann würde ich allein fahren, um das Geld nicht zu verlieren. Vielleicht triffst du sogar Leute, die ihr zu zweit nicht getroffen hättet. Du hast doch sonst keine Schwierigkeiten, Menschen kennenzulernen.“
Melanie sah allerdings reizend aus, und sie hatte eine blendende Figur. Das hellbraune, ins Blond spielende Haar umrahmte ein apartes Gesicht, an dem vor allem die großen grünen Augen mit den langen Wimpern auffielen. Der volle Mund trug zum Charakter des Gesichts bei, das sonst vielleicht zu puppenhaft gewirkt hätte. In jedem Fall gehörte Melanie zu den Frauen, die sich nicht über mangelnde Aufmerksamkeit zu beklagen brauchten.
Melanie flog nach London, mietete ein Auto und machte sich auf den Weg nach Burford Castle, wo sie die erste Nacht verbringen wollte. Aus dem Traum wurde allerdings schnell ein Albtraum, denn sie kam in die Dunkelheit und konnte bei dem heftigen Regen kaum noch die schmale Landstraße erkennen. Seit mehreren Meilen war ihr kein anderes Auto begegnet, und es schien auch keine Häuser zu geben, wenigstens keine, die erleuchtet waren.
Doch Melanie war seit London kaum vierzig Meilen gefahren und musste noch in einer bewohnten Gegend sein. Irgendwann würde sie jemanden treffen, den sie fragen konnte. Ihre Zuversicht wurde auch bald belohnt, denn sie entdeckte rechts von der Straße hinter hohen Bäumen mehrere Lichter, die sie an die erleuchteten Fenster eines Gasthofs erinnerten. Sie drosselte die Geschwindigkeit und suchte nach einer Einfahrt. Eine Weile fuhr sie an einer Mauer entlang, bis sie zu einem schmiedeeisernen Tor kam, neben dem ein Schild angebracht war. Es wurde teilweise von herabhängenden Zweigen verdeckt, aber Melanie erkannte das Wort „Castle“ und die Buchstaben „bur“. Ihre Erleichterung war so groß, dass sie zu lachen begann. Blinder Zufall hatte sie ans Ziel geführt.
Die lange, gewundene Auffahrt endete vor einem imponierenden englischen Landhaus, das ganz Melanies Vorstellungen entsprach. Die Backsteinmauern waren von Efeu überwachsen, und die Eingangstür strahlte Würde aus. Ein antiker Klopfer verstärkte diesen Eindruck, was Melanie bewog, ihn und nicht die moderne Klingel zu benutzen, die seitlich angebracht war.
Die Tür wurde sofort geöffnet, von einem Mann, der Jeans und ein Sweatshirt