: Amitav Ghosh
: Die Flut des Feuers Roman
: Blessing
: 9783641199937
: Ibis-Trilogie
: 1
: CHF 8.90
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 864
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein schillerndes Epos über die Welt am Rande einer Zeitenwende.
1839: Nachdem China den vornehmlich von den Briten und deren Kolonien betriebenen Handel mit Opium nicht mehr dulden will, erklärt ihm Großbritannien den Krieg. Die Hind ist eines der Schiffe, die bei einem Angriff zum Einsatz kommen sollen, und segelt zu diesem Zweck von Bombay nach China. An Bord ist unter anderem Kesri Singh, ein Kommandant der britisch-ostindischen Armee, der eine Kompanie Soldaten befehligt; außerdem Zachary Reid, ein verarmter junger Seemann, der auf der Suche nach seiner verlorenen Liebe ist, und Shirin Moddie, die in China die Hinterlassenschaft ihres verstorbenen Mannes, eines Opiumhändlers, an sich nehmen will. Sie alle geraten schon bald in die Wirren der Opiumkriege, die in Chinas verheerender Niederlage und in der Annektierung Hongkongs durch Großbritannien enden werden.

Eine vor Atmosphäre und Detailfreude flirrende, spannende und berührende Geschichte vor der Kulisse Indiens und Chinas, mit der Amitav Ghosh sein großes historisches Panorama über die Opiumkriege, die eine frühe Ära der Globalisierung markieren, fulminant vollendet.

Amitav Ghosh wurde 1956 in Kalkutta geboren und studierte Geschichte und Sozialanthropologie in Neu-Delhi. Nach seiner Promotion in Oxford unterrichtete er an verschiedenen Universitäten. Mit 'Der Glaspalast' gelang dem schon vielfach ausgezeichneten Autor weltweit der große Durchbruch. Zuletzt erschien seine Romantrilogie 'Das mohnrote Meer', 'Der rauchblaue Fluss' und 'Die Flut des Feuers' (2016) bei Heyne. Ghosh lebt in Indien und den USA.

ERSTES KAPITEL

Havildar Kesri Singh war der Typ Soldat, der gern an der Spitze der Kolonne ritt, besonders an einem Tag wie diesem, an dem sein Bataillon durch bereits unterworfenes Gebiet marschierte, und die einzige Aufgabe der Vorhut darin bestand, die Fahne des paltans zu tragen und für die Dorfbewohner, die sich am Straßenrand drängten, das beste Paradegesicht aufzusetzen.

Es waren einfache Leute, und Kesri wusste, auch ohne sie anzusehen, dass sie ihn mit großen Augen bestaunten. Sepoys der Ostindien-Kompanie waren kein alltäglicher Anblick in diesem entlegenen Teil Assams. Dass ein ganzer paltan des 25. Regiments der Bengal Native Infantry – der berühmten Pachisi – durch ihre Reisfelder marschierte, war vermutlich der größte tamasha, den die meisten hier in einem ganzen Jahr oder gar Jahrzehnt erleben würden.

Immer mehr Menschen liefen herbei – Bauern, alte Frauen, Kuhhirten, Kinder –, so eilig, als fürchteten sie, das Spektakel zu verpassen; dass es sich noch über Stunden hinziehen würde, konnten sie nicht wissen.

Unmittelbar hinter Kesri marschierte die sogenannte Rasad Guard, der Versorgungstrupp des paltans. Ihm folgte der Tross, mit über zweitausend Menschen weit zahlreicher als die sechshundert Sepoys, gleichsam eine Stadt auf Rädern, eine lange Karawane von Ochsenkarren, auf denen Leute aller Art reisten: Pandits und Milchfrauen, Krämer und Banjara-Getreidehändler, sogar eine Gruppe Basarmädchen. Auch Unmengen von Tieren gab es da: lärmende Schaf-, Ziegen- und Rinderherden ebenso wie einige Elefanten, die das Gepäck der Offiziere und das Mobiliar der Offiziersmesse trugen: schwankende Tische und Stühle, die Füße in der Luft, wie umgekippte Käfer. Sogar ein transportabler Tempel rollte auf einem Karren mit.

Erst nachdem all das vorbeigezogen war, ertönten rhythmische Trommelschläge, und eine Staubwolke stieg auf. Der Boden erzitterte im Takt der Trommeln, und die erste Reihe Sepoys tauchte auf, zehn Mann, Seite an Seite, an der Spitze eines langen, gewundenen Stroms dunkler topis und blitzender Bajonette. Die Dorfbewohner liefen davon, um dann im Schutz von Bäumen und Büschen die unter Pfeifen- und Trommelklängen vorbeiziehenden Sepoys zu bestaunen.

Kaum ein anderer tamasha konnte sich mit dem Spektakel der marschierenden Bengal Native Infantry messen. Allen im paltan war das bewusst – den Dandia-valas ebenso wie den Natch-Mädchen, Bangy-burdars, Syces, Khansamas, Bheri-valas und Bhistis –, ganz besonders aber Havildar Kesri Singh, der die Galionsfigur des Bataillons darstellte, wenn er an der Spitze der Kolonne ritt.

Nach Kesris Überzeugung gehörte es zum Kriegshandwerk, sich eindrucksvoll zu präsentieren, und er gab gerne zu, dass er vor allem wegen seines Äußeren so häufig ausersehen wurde, die Kolonne anzuführen. Man konnte es ihm kaum zum Vorwurf machen, dass er in den Jahren des Kriegsdienstes allerlei Narben davongetragen hatte, die seinem Aussehen zum Vorteil gereichten. Er hatte es sich nicht ausgesucht, dass der Hieb eines Schwertes seine Lippen dauerhaft um einiges voller erschienen ließ und einen Schmiss wie eine filigrane Tätowierung in die lederdunkle Haut seiner Wange gezeichnet hatte.

Nicht, dass Kesris Gesicht das imponierendste im ganzen paltan gewesen wäre. Mit seinem säbelkrummen Schnauzbart und der markanten Stirn konnte er zwar höchst Furcht einflößend aussehen, doch gab es andere, die ihn darin weit übertrafen. Niemandem aber stand die Uniform so gut wie ihm: Das schwarze Tuch der Hose umspannte seine Schenkel wie eine zweite Haut und ließ die mächtigen Muskeln hervortreten, die Epauletten auf seinen breiten Schultern wirkten eher wie Waffen denn wie Zierrat, un