: Barbara Frischmuth
: Die Schrift des Freundes Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841211965
: 1
: CHF 6.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 371
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Liebesgeschichte zwischen den Kulturen. Unter merkwürdigen Umständen lernt Anna, eine junge Wiener Computerspezialistin, Hikmet kennen. Doch plötzlich ist er verschwunden, und niemand will ihn gekannt haben. Bald ahnt Anna, daß seine Zugehörigkeit zu den Aleviten, einer antidogmatischen islamischen Glaubensgemeinschaft, damit zusammenhängt und daß sie selbst irgendwie schuldig ist. 'Man kann 'Die Schrift des Freundes' als Liebesgeschichte lesen, als kritische Auseinandersetzung mit neuen Informationstechnologien, als politisches Statement zur Situation von Ausländern und Emigranten, als ethnopoetischen Reisebericht über eine fremde Kultur und schließlich auch als kryptische Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch. Wie Barbara Frischmuth ihre Geschichten aufeinander bezieht, aus den Abschattierungen dieser Bezüge den Mehrwert der Differenzierung gewinnt, das Geschehen da und dort unaufdringlich überhöht und zeichenhaft verdichtet: das hat die seltene Qualität einer Gelassenheit, die bloß zuzuwarten scheint, bis sich die Erzählung leichthin und wie von selbst zu Ende erzählt.' Neue Zürcher Zeitung

Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und war seitdem freie Schriftstellerin. Sie starb am 30. März 2025.

Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt »Die Klosterschule« und dem Roman »Das Verschwinden des Schattens in der Sonne« wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie »Die Schrift des Freundes«, »Der Sommer, in dem Anna verschwunden war«, »Vergiss Ägypten«, »Woher wir kommen« und »Verschüttete Milch« veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. »Der unwiderstehliche Garten« war das vierte ihrer literarischen Gartenbücher.

Hikmet verzieht spöttisch das Gesicht. »Er hält dich für eine Zauberin – das heißt, eigentlich hat er Hexe gesagt –, weil du dem Ding nur die Hände aufzulegen brauchst und es funktioniert.«

Anna lächelt. »Er hat ein ziemlich pompöses Gerät für das, was er damit machen will, ich meine eure Buchhaltung. Als hätte er sich einen Range Rover gekauft, um damit ausschließlich vom ersten in den siebenten Bezirk zu fahren.«

»Das ist Metin, und du wirst lachen, er redet tatsächlich von so einem Auto.«

Sie verbringen ihre Zeit mit Worten, die sie einander erklären sollen, obgleich da nichts zu erklären ist. Aufmerksam setzen sie Schritt für Schritt, und wenn sie von Zeit zu Zeit den Blick heben, dann weniger, um den anderen ins Herz zu treffen, als um sicher zu sein, daß es ihn gibt. Und irgendwann, vor Mitternacht, zieht Anna ihre Hand zurück und verschwindet wie Aschenputtel vom Ball, in der Gewißheit, den richtigen Schuh zu tragen.

Anna träumt nicht, sie liegt nachts wach und setzt sich aus all den Gesprächen einen Hikmet für ihre Gedanken zusammen. Er schreibt nicht nur in der alten Schrift, er entwirft auch das tägliche Leben neu, indem er darüber nachdenkt, ob seine Regeln noch gültig sind. Sein Medizinstudium hat er längst abgebrochen. Der Wunsch, einen Arzt in der Familie zu haben, war vor allem der seiner Mutter gewesen, aber inzwischen hat die sich damit abgefunden, einen weitschichtigeren Verwandten zu konsultieren. Er, Hikmet, ist auf der Welt, um zu begreifen.

Was zu begreifen? Anna hat sich bisher bemüht zu begreifen, wie ein Rechner funktioniert und wie man seine Leistungen immer mehr steigern kann.

Hikmet aber hat seine eigene Erklärung, »was das Leben ausmacht, ich meine unter bestimmten Bedingungen«.

»Was für Bedingungen?«

»Zum Beispiel, wie wir hier leben. Zu Hause und doch nicht in unserem Land. Mitten unter euch und dennoch in einer Enklave. Manchmal habe ich das Gefühl, daß man alles neu erfinden muß, sogar das Aufwachen am Morgen.«

Anna wird nicht müde, sich Hikmets Sätze zu wiederholen, die klugen wie die weniger klugen. Sie miteinander zu verknüpfen, bis sie eine Geschichte ergeben, Hikmets Geschichte.

Er hilft im Laden aus und arbeitet wohl auch in der Firma. Nicht eben regelmäßig. »Manchmal reise ich im Auftrag«, sagt er, aber im großen und ganzen ist es wohl eher so, daß es auch nicht viel ausmacht, wenn unter sieben Söhnen einer bloß zu begreifen versucht.

Feride Hatun hat ihr ausrichten lassen, daß sie bald wiederkommen soll. Das freut sie einerseits, andererseits gruselt sie es auch ein bißchen, noch ist ihr das Emailschaff deutlich in Erinnerung.

Was ist mit Hikmets Vater wirklich passiert? Auch Hikmet bestätigt, daß er erschossen worden ist, aber das Ganze sei eher eine Art tragischer Zufall gewesen, ein Unfall eben, wenn auch von der anderen Seite beabsichtigt. Sie wollte wissen, von welcher anderen Seite, aber Hikmet ist ins Ungefähre ausgewichen. »Es gibt viele andere Seiten, eine für jede, die man an sich selber hat.«

Anna hätte nicht geglaubt, daß sie dieses Notebook, das ihr die Firma geschenkt hat, doch noch verwenden würde. Bisher war es so, daß sie den Rat ihres einstigen Lehrers beherzigte: »Wenn du nicht willst, daß deine Augen eine rechteckige Form annehmen, dann hüte dich vor jeder Art von Schirm im Privatleben.« Das