: Andreas Weber
: Enlivenment. Eine Kultur des Lebens Versuch einer Poetik für das Anthropozän
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957572929
: 1
: CHF 8.90
:
: Philosophie
: German
: 153
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Enlivenment' ist der Versuch einer grundsätzlich neuen Sichtweise auf das Zusammenspiel von Natur, Mensch und Ökonomie. Ziel dieses Essays ist ein neues Verständnis der vielfältigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Krisen, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Dabei geht Andreas Weber von der Tatsache aus, dass der Mensch heute die Natur zwar zutiefst erfasst und beeinfl usst, aber zugleich selbst von Natur und dem 'Wilden' durchdrungen ist und von ihm bestimmt wird. Im Sinne der Aufklärung implementiert er daher in den philosophischen Diskurs die Kategorie der 'Lebendigkeit' als fundamentale Kategorie des Denkens. Nur wenn man lernt, nicht von 'Kontrolle' zu sprechen, sondern von 'Teilhabe', sobald man vom Verhältnis Mensch/Natur spricht, ist der Boden für eine neue Ökonomie und eine wirkungsvolle Form der Krisenbewältigung geschaffen.

Andreas Weber, geboren 1967, ist Biologe und Philosoph. Er promovierte über 'Natur als Bedeutung. Versuch einer semiotischen Theorie des Lebendigen'. Seit 1994 schreibt er u.a. für GEO, Merian, ZEIT, Frankfurter Allgemeine Zeitung, National Geographic mit Preisen ausgezeichnete Reportagen und Essays. Er lebt als Schriftsteller, Journalist, Dozent und Politikberater in Berlin und Italien. Zuletzt erschienen: 'Lebendigkeit: Eine erotische Ökologie' (2014).

Einleitung: Eine Poetik der Wirklichkeit


Der vorliegende Essay präsentiert eine neue Sichtweise auf das Zusammenspiel von Mensch und dem, was bislang Natur geheißen hat. Er versucht, beide neu zu denken, indem er alle Wesen als Teilnehmer eines gemeinsamen Haushaltes von Stoff, Begehren und Imagination versteht – einer Ökonomie der metabolischen und poetischen Verwandlungen.

Der Essay entwickelt Alternativen für einige Annahmen, auf denen unsere gegenwärtige Weltsicht aufbaut. Er möchte damit einen Beitrag zur Debatte über das »Anthropozän« liefern, einen Beitrag, der das Gegenstück zur verbreiteten Idee bildet, im heutigen Zeitalter sei endlich die Epoche einer Menschen-Erde angebrochen, in der unsere Speziesde facto alles steuere und kontrolliere und Mensch und Natur dadurch auf dem gleichen Level stünden[3].

Ich folge hier der Kritik des amerikanischen Dichters und Ökophilosophen Gary Snyder, der meint: »Das ›Wilde‹ ist ein Prozess, der außerhalb menschlicher Kontrolle liegt. Soweit die Wissenschaft auch vordringen mag, wird sie diesem doch niemals auf den Grund gehen können, denn Geist, Fantasie, Verdauung, Atmen, Träumen, Lieben und sowohl Geburt als auch Tod gehören dem Wilden an. Ein Anthropozän wird es nie geben«.[4]

Der Mensch ist in all seinen Imaginationen zutiefst von Natur durchzogen, von unkontrollierbarer Wildnis, von schöpferischer Selbstorganisation, die keiner Kontrolle und keiner »Stewardship« unterliegen kann. Sie kann es nicht, weil das Unkontrollierbare selbst, von dem Snyder spricht – die Assoziationen der Fantasie, die Verdauung, die Komplexität der Sprache, die Absolutheit der Gefühle und Instinkte – die Instrumente liefert, mit denen wir versuchen, Kontrolle herzustellen. Die Vorstellung des Anthropozäns, den Menschen mit dem unbewusst Organischen in sich selbst, aber auch in den anderen noch verbliebenen Wesen dadurch zu versöhnen, dass er ihre Existenz der Macht seiner Kultur anvertraut, ist ein erneuter Versuch der Zähmung. Wir können in ihr einen weiteren Akt der Aufklärung erblicken, die Welt durch Kontrolle zu verbessern und zu beherrschen.

Kultur als Kontrolle


Statthalter dieser Herrschaft ist heute vor allem die Ökonomie. Das liberalistische Marktsystem und dessen Voraussetzung, die Trennung von Ressourcen (mit denen gehandelt wird) und Subjekten (die handeln bzw. die versorgt werden wollen), sind Produkte der Aufklärung. Sie folgen ihrer Methode, Kontrolle herzustellen, indem die Welt zweigeteilt wird, in eine unbelebte, zu kolonialisierende oder einzuhegende Sphäre und eine, von der aus und für die Kontrolle hergestellt werden soll. Die Welt aber wird nicht durch Kontrolle besser, sondern durch Teilnahme.

Das Anthropozän wird sich nur überleben und in einen produktiven Umgang sowohl mit unserer eigenen Humanität als auch mit der Biosphäre verwandeln lassen, wenn wir begreifen, dass nicht nur der Mensch die Natur durchdringt und beeinflusst, sondern dass auch uns selbst etwas ausmacht und erfüllt, was keiner kulturellen Kontrolle und Steuerung unterworfen werden kann, weil es etwas ist, aus dem sich diese überhaupt erst speist: unsere sich selbst organisierende, unhintergehbare, in die Opazität der Wirklichkeit von Ökosystemen, emotionalen Impulsen und poetischer Imagination mündende Lebendigkeit.

Dem Anthropozän fehlt das Bewusstsein, dass Schönheit das ist, was mit Lebendigkeit ansteckt, auch wenn wir sie nicht verstehen, und dass jeder Austausch, der von Sachen (in der Wirtschaft), der von Bedeutungen (in der biologischen Kommunikation sowie in der mensc