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Mittwochmorgen
Heute streiken die Eisenbahner. Es ist das dritte Mal im Jahr, und ich komme mir schon äußerst versiert vor im Umgang damit. Mit dem Zug spare ich mir eine halbe Stunde Fahrt und28 Dollar an Parkgebühren, aber auch der Bus ist immer noch besser als das Auto. Dem Verkehr ist man trotzdem ausgesetzt, nur kostet die Fahrt bloß2,25 Dollar, und die Haltestelle liegt genau vor dem Laden, in dem ich arbeite, ich kann mich also nicht beschweren.
Den Morgen verbringe ich daher auf einem harten Plastiksitz, nicht auf einem gepolsterten, und beim unaufhörlichen Anfahren und Abbremsen ruckelt es mehr, als meinem gewöhnlich unduldsamen Temperament lieb ist. Aber die Räder des Busses rollen, und ich bin zuversichtlich, lebend und unversehrt von Punkt A nach Punkt B zu kommen.
Ich würde näher an der Arbeit wohnen, wenn das möglich wäre – das übliche Lamento der Pendler. Es gibt keinen bestimmten Grund, der für Diamond Heights sprechen würde, das südlich der Innenstadt gelegene Viertel, das ich als mein Zuhause bezeichne, außer dass es außerhalb des eigentlichen Stadtzentrums liegt und damit auch außerhalb des völlig überhitzten Immobilienmarkts von San Francisco. Das Viertel wurde1951 im Zuge des Community Redevelopment Law von der Planning and Urban Research Association umgestaltet, die Holzbaracken wurden zu wohnlichen Häusern umgewandelt, von denen ich nun eines mein Eigen nennen darf. Als Mieter natürlich. Um ehrlich zu sein, eigentlich kann ich mir auch das nicht leisten, aber so ist es immerhin drei bis vier Prozent weniger unerschwinglich als selbst das winzigste Apartment in der Innenstadt. So muss man das heutzutage durchrechnen, wenn man das Unwahrscheinliche möglich machen will. Mein Zuhause also. Dazu kommt, dass der Name den funkelnden Glanz von Diamanten in sich trägt.
Ich kann nicht behaupten, dass das Pendeln mich allzu sehr stört. Wenn morgens die Sonne über die Hügel steigt und ihre Strahlen vom Meer gespiegelt werden, ist San Francisco ganz hübsch anzusehen. Ich weiß nicht, ob es an der Schönheit der Bucht, an der landeinwärts gelegenen Seite mit ihren Inseln und Hügeln und Brücken liegt oder am Mysterium des endlosen, grenzenlosen Ozeans, der sich an der anderen Seite erstreckt, aber irgendetwas verleiht der Stadt ihre Aura – ein Anderssein, das ich sonst nirgendwo gespürt habe.
Der Bus fährt um eine Ecke, weicht einem kleinen geparkten Nissan aus und biegt auf den Lincoln Way ein. Ich fahre nicht zum ersten Mal mit dieser Linie, ich kenne den Weg, trotzdem flattert mein Herz ein wenig. Es flattert, weil der Lincoln Way an meinem Himmel vorbeiführt. Dylan Aaronsens Himmel. Dem Ort, der es mir wie kein zweiter angetan hat.
Dort nämlich, zur Linken, liegt der Park. Irgendwo da drin: mein kleiner Teich, meine kleine Bank. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich sie aufsuchen und mich unter die Bäume zurückziehen kann, weg vom Lärm, denn davor steht die morgendliche Arbeit. Aber schon der Anblick besänftigt mich. Ich bin jemand, der leicht zu besänftigen ist. Kurz überlege ich, ob jeder so ist, ob immer schon der Anblick von etwas, was man gern hat, ausreicht, die Dämonen zu vertreiben und den Frieden der Gegenwart etwas näher zu bringen.
Abgesehen vom geänderten Transportmittel verläuft der Morgen in vorhersehbaren Bahnen. Im Grunde gibt es zu so einem Tagesanfang nicht viel zu sagen. Als jemand, der sich mit den Trends der sozialen Medien nie richtig anfreunden konnte, fehlt es mir an Erfahrung beim Artikulieren nichtssagender oder wenig bemerkensw