: Herfried Münkler, Marina Münkler
: Die neuen Deutschen Ein Land vor seiner Zukunft
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644124417
: 1
: CHF 10.00
:
: Politik
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Deutschland ist aus seiner Behaglichkeit gerissen worden. Die «Flüchtlingskrise» hat die Grund­probleme unserer Gesellschaft sichtbar gemacht und gezeigt, dass das alte Deutschland unwiderruf­lich vergangen ist. Herfried und Marina Münkler betten die aktuelle Situation - jenseits der Aufgeregtheiten der Tages­politik - in den historischen Zusammenhang ein und weisen darauf hin, dass Wanderungs- und Fluchtbewegungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Deutschland hat sich immer wieder - mit neuen Menschen - neu aufgestellt. Das wird auch heute nicht ohne Brüche und Probleme abgehen: Mächtige, oft divergierende Kräfte werden in der deutschen Gesellschaft freigesetzt. Wie können sie beherrscht werden, was muss man tun, damit wir ihnen nicht wehrlos gegenüberstehen? Herfried und Marina Münkler benennen die Risiken und Gefahren präzise und realistisch; gleich­zeitig zeigen sie aber auch die großen Chancen auf, die sich uns bieten. Die neuen Deutschen - das sind wir. Nur wenn wir die Grundfragen klären, in welchem Land wir leben wollen, wie es sich verändern soll und wie nicht, kann dieser größte Umbruch seit der Wieder­vereinigung gelingen.

 Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und eine unverzichtbare, prägende Stimme in den Debatten unserer Gegenwart. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa  «Imperien», «Die Deutschen und ihre Mythen», «Der Große Krieg» oder «Die neuen Deutschen» (mit Marina Münkler), allesamt Bestseller. Zuletzt erschienen «Welt in Aufruhr» und «Macht im Umbruch», die ebenfalls lange auf der «Spiegel»-Bestsellerliste standen. Herfried Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung, dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship, dem Preis der Leipziger Buchmesse und dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch. 

Einleitung: Pascals Wette


Der Flüchtling sei ein «Bote des Unglücks», heißt es bei Bertolt Brecht.[1] Das ist er zweifellos, und zwar nicht nur ein Bote seines eigenen Unglücks, sondern auch einer des Unglücks seines Landes, seiner Landsleute und der ganzen Region, aus der er geflohen ist. Denen, in deren Land er meist unerwartet kommt, ruft er das relative Glück ihres Lebens in Erinnerung: Was Frieden und Sicherheit, Ruhe und Wohlstand wert sind, wird uns häufig erst durch solche «Boten des Unglücks» wieder bewusst. Im Ankunftsland der Flüchtlinge löst das recht unterschiedliche Empfindungen und Reaktionen aus: Während die einen dankbar dafür sind, wie gut es ihnen geht, und diese Dankbarkeit in die Bereitschaft umwandeln, den Unglücklichen zu helfen, fühlen sich andere durch die ungebetenen Gäste gestört und hoffen, dass sie so schnell wie möglich wieder verschwinden. Für noch einmal andere sind die Flüchtlinge Eindringlinge, die man verjagen will, denen man gar Gewalt androht; als Zeichen, dass diese Drohung ernst gemeint ist, stecken sie die für sie vorgesehenen Unterkünfte in Brand.

So ist Deutschland seit dem Herbst 2015 zu einem gespaltenen Land geworden: Auf der einen Seite viele – und viel mehr, als man erwarten konnte –, die geholfen haben, wo und so gut sie konnten, und auf der anderen Seite eine mit dem anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen wachsende Gruppe, die einfach die Grenzen schließen will und sich demonstrativ für unzuständig erklärt: Sollen, so ihre Forderung, die Flüchtlinge die Botschaft ihres Unglücks doch andernorts verkünden – hier wolle man sie nicht hören! Die gesellschaftliche Spaltung in der Flüchtlingsfrage hat inzwischen zu dramatischen Umbrüchen in der politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland geführt; die Folgen werden für lange Zeit spürbar sein. Deutschland wird aus dieser Herausforderung als ein anderes Land hervorgehen. – Es steht vor seiner Zukunft und ringt mit der Frage, welche Zukunft es sein soll.

Wenn hier von den «neuen Deutschen» die Rede ist, so sind damit keineswegs nur die Neuankömmlinge gemeint, die sich irgendwie mit den Alteingesessenen arrangieren werden. Sicher, es geht zunächst um sie und um die Frage, wie sie sich erfolgreich integrieren können – wobei erfolgreich heißt, dass sowohl die Flüchtlinge als auch die bereits hier Lebenden davon profitieren. Doch es geht ebenso um die deutsche Gesellschaft, die sich angesichts des Umstands, dass sie sich seit längerem nicht mehr biologisch reproduziert, sondern auf Zuwanderung angewiesen ist, wenn sie ihre Bevölkerungszahl halten will, neu definieren und eine veränderte Identität entwickeln muss. Insofern gehören auch die alten Deutschen zu den «neuen Deutschen». In beiden Fällen ist die Frage offen, mit was für «neuen Deutschen» wir es in Zukunft zu tun haben werden: Bei den Neuankömmlingen geht es darum, ob sie sich in Deutschland einleben, hier Arbeit finden und die deutschen Grundwerte als die ihren annehmen werden – oder eben nicht, was hieße, dass sie sich in Parallelgesellschaften gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft abschotten würden. Das hätte dann zur Folge, dass sie mit Argwohn beobachtet würden und sie wiederum eine noch größere Distanz zur Bevölkerungsmehrheit suchten. Und bei den Alteingesessenen wird es darum gehen, ob sie die Flüchtlinge eher als Chance oder als eine Last und Bedrohung sehen und welche Schlussfolgerungen sie aus ihrer jeweiligen Sichtweise ziehen. Auf jeden Fall aber ist klar, dass sich die Integration, wenn sie erfolgreich verlaufen soll, über Jahre hinziehen wird und die mit ihr verbundenen Herausforderungen nicht mit ein paar Verwaltungsmaßnahmen zu bewältigen sind.

Die nachfolgenden Erkundungen sind von der Überzeugung getragen, dass die Neuankömmlinge eine Chance für unsere Gesellschaft darstellen; allerdings steht immer wieder die Beobachtung dagegen, dass die Migration kurzfristig eine enorme Belastung ist: für die Verwaltungen der Länder und Kommunen, die seit Monaten an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten; für den Staatshaushalt, aus dem die zusätzlichen Aufwendungen – inzwischen ist von bis zu 200 Milliarden Euro die Rede&nb