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Alice Madison setzte sich in dem bequemen Polstersessel zurecht und verschob das Holster, das sich ein wenig in ihre rechte Seite grub. Verstohlen warf sie einen Blick aus dem großen Fenster. Der Puget Sound schimmerte im fahlen Januarlicht, das Silber kräuselte sich an manchen Stellen weiß, und in der Ferne ragte der Mount Rainier aus blauen Schatten auf.
Sie merkte, dass das Schweigen länger andauerte, als es höflich war, und wandte den Kopf. Dr. Robinson betrachtete sie.
»Keine Sorge. Ich weiß schon, die Leute kommen hierher, um sich kluge psychologische Erkenntnisse abzuholen, aber die Aussicht ist der Grund, weshalb sie bleiben«, sagte er.
Sie kannte diesen Scherz bereits von ihrem ersten Besuch vor ein paar Wochen. Genau wie damals lächelte sie auch heute ein wenig und zweifelte, ob ihm wirklich nicht bewusst war, dass er sich wiederholte.
Auf dem Schild in der Eingangshalle stand: Stanley F. Robinson PhD. Das Büro im fünfzehnten Stock war elegant eingerichtet und in gedeckten Farben gehalten.
Er war Anfang fünfzig, seine graumelierten Haare waren kurz geschnitten, und er hatte große braune Augen. Ganz nützlich für einen Psychologen, der mit Polizisten arbeitete: einigermaßen unbedrohlich, nur hin und wieder ziemlich neugierig, dachte sie bei sich.
»Wie war Ihre Woche?«, fragte er sie. Auf Dr. Robinsons Schreibtisch lagen glücklicherweise weder Blocks noch Stifte. Falls er sich Notizen machte, dann nach ihren Sitzungen.
»Gut«, antwortete Madison. »Papierkram von ein paar alten Fällen, den ich noch erledigen muss. Ein häuslicher Zwischenfall, der sich als nichtig entpuppt hat. Nichts Außergewöhnliches.«
»Haben Sie an den Vorfall im Wald gedacht? Also länger als ein paar Sekunden am Tag?«
»Nein.«
»Hatten Sie irgendwelche ungewöhnliche Gedanken oder ungewöhnliche Reaktionen während Ihres normalen Tagesablaufs? Was ungewöhnlich ist, dürfen Sie für mich definieren.«
»Nein, nichts Ungewöhnliches.«
»Irgendeine Reaktion auf Chloroform oder was anderes, das auf posttraumatische Belastung hinweist?«
»Nein.«
»Möchten Sie über ein Ereignis in der letzten Woche oder etwas ganz Allgemeines sprechen?«
Madison besaß so viel Anstand, zumindest so zu tun, als würde sie über diese Frage nachdenken.
»Eigentlich nicht«, sagte sie schließlich.
Dr. Robinson ließ sich ihre Antwort kurz durch den Kopf gehen. Er lehnte sich zurück.
»Detective, wie viele Sitzungen hatten wir bisher?«
»Das ist die dritte.«
»Genau, und Folgendes habe ich bisher erfahren: Sie sind Detective bei der Mordkommission, Sie sind letzten November Ihrem Dezernat zugeordnet worden – das war also, na ja, ungefähr vor zweieinhalb Monaten. Sie haben ein Examen in Psychologie und Kriminologie von der University of Chicago – eine gute Uni, klasse Footballteam. Ihre Akte im Seattle Police Department ist makellos. Sie verhalten sich kollegial, und in Ihrem Privatleben gibt es nichts Auffälliges. Nicht einmal eine Verkehrswidrigkeit. Ist das so weit korrekt?«
»Ja.«
»Gut. Im letzten Dezember bricht die Hölle los. Sobald sich der Rauch verzogen hat, schickt das Department Sie hierher, um sicherzugehen, dass Sie arbeitsfähig sind und bereit, zu schützen und zu dienen. Sie sind sehr offen: Sie geben zu, dass Sie nach Harry Salingers Angriff auf Sie und Ihren Partner auf Chloroform reagiert haben, aber das hat vor Wochen aufgehört. Keine Panikattacken, keine posttraumatischen Belastungsstörungen. Nichts, nach allem, was im Wald passiert