: Kelley Benham French, Thomas French
: Meine kleine Handvoll Leben Unser Baby kam viel zu früh auf die Welt
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783732513130
: 1
: CHF 8.10
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Das Ehepaar Thomas und Kelly Benham French wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind. Nach mehreren Fehlgeburten kann Kelly mithilfe einer Eizellenspende schwanger werden, doch ihr Körper stößt auch dieses Kind ab. Juniper kommt nach nur 24 Wochen Schwangerschaft zur Welt - viel zu früh, kaum lebensfähig, wahrscheinlich schwerstgeschädigt - die Ärzte geben kaum Hoffnung. Die ersten sechs Monate auf der Frühchenintensivstation kämpfen ihre Eltern um ihr Leben, und mehr als einmal stehen sie vor der schweren Frage, ob es gnädiger wäre, ihr Kind seinem Schicksal zu überlassen?



Thomas French und Kelley Benham French sind beide erfolgreiche Journalisten. Thomas French ist bereits Pulitzer-Preisträger, seine Frau Kelley Benham French war 2013 unter den Finalisten für diesen höchsten Journalistenpreis.
  1. 1.Das Reich der vereitelten Schöpfung

Kelley


Nicht immer sollten gefallene Geschöpfe gerettet werden. Das war mir immer bewusst. Und trotzdem. Als ich vierzehn war, brachte mir eine Freundin ein Vogelküken, streckte es mir auf der Hand entgegen. Auf der Pferdeweide in Florida, wo wir unsere Tage verbrachten, hatte sie es unter Kiefernnadeln entdeckt. Ihre Mom erlaubte nicht, dass sie es mit nach Hause brachte.

Sein kleiner Körper erinnerte an ein mit Reispapier umhülltes bläuliches Häufchen aus Zweigen, geädert und mit weißem Flaum überpudert. Sein Wackelkopf schwankte auf einem dünnen Hälschen, und die wie zugeschweißt wirkenden Augen glotzten blind. Der Mund war ein einziger klaffender Schlund, der große Not verhieß.

Das Vögelchen war exotisch, aufregend. Schon vorher hatte ich die nackten Rattenbabys in unserem Komposthaufen vor der drohenden Schaufel meines Vaters verteidigt oder um das Leben der Waschbärenfamilie auf unserem Dachboden gebettelt. Verschiedentlich hatte ich auch streunende Kätzchen in der Garage, Welpen im Wohnzimmer und Kaninchen auf der hinteren Veranda aufgezogen. So dass ich an jenem Tag, als meine Mutter mich abholte und ich mit meiner Schuhschachtel in ihren alten roten Ford Falcon stieg, nicht auf Einwände gefasst war. Meine Eltern waren bestimmt keine perfekten Menschen, aber sie hatten mir – ob nun in voller Absicht oder vor lauter Erschöpfung – stets Freiräume zum Erkunden und Ausprobieren gelassen.

Ich beendete damals gerade mein erstes Highschool-Jahr, war schüchtern und häufig allein. Ich wusste, dass dieser Vogel eigentlich nichts Besonderes war. Und doch zuckte sein Herz in meinen Händen. Ich trug ihn ins Wohnzimmer und setzte ihn in ein altes gesprungenes Aquarium, das ich in der Garage gefunden hatte. Dann legte ich einige Zweige von der Magnolie in unserem Hof dazu – ein etwas jämmerlicher Versuch, seine Umgebung ein wenig natürlicher erscheinen zu lassen.

Sehr wahrscheinlich hat mich damals jemand gefragt, was das Ganze eigentlich solle. Denn auch wenn ich ihn rettete, konnte er nicht wie ein Sittich bei uns im Haus leben, und einfach davonfliegen konnte er auch nicht. Doch solche Bedenken waren mir noch fremd. Ich weichte Hühnerfutter in warmem Wasser ein und bot es ihm alle zwei Stunden mit einer Futterspritze an. Mit fröhlichem Gluckern glitt es seinen Hals hinunter. Ich spürte die Kluft zwischen Wildheit und Zivilisiertem. War nicht auch ich selbst – wie ich ständig an unsichtbare Grenzen stieß und mir die Gestalt der Welt erst ertasten musste – nur notdürftig zivilisiert? Ich fühlte mich hilflos auf den Schulkorridoren, ratlos angesichts meiner zu großen Zähne, meiner widerspenstigen Haare und meines Vaters, der die Rattenbabys im Komposthaufen enthauptete, mit ballernder Jagdflinte die Waschbären vom Dachboden vertrieb, der meine Welpen verkaufte, meine Kaninchen weggab und meine Kätzchen ins Tierheim schaffte.

Das winzige Leben dieses Vogels lag, was immer auch daraus werden mochte, in meiner Hand. Ich würde es beschützen, solange ich konnte. Am nächsten Tag teilten sich langsam seine wimpernlosen Lider. Das Erste, was er sah, war ich, die ihn durchs G