1. KAPITEL
Es war ein warmer Spätsommernachmittag. Wenige Minuten vor Feierabend betrat der hochgewachsene, gut aussehende Mann die Boutique „Maria’s“ in Melbourne und schritt interessiert zwischen den Regalen mit den schicken italienischen Handtaschen, Pariser Schals und eleganten Kleidern umher.
„Guten Abend, Sir. Kann ich Ihnen helfen?“ Die Worte kamen Arabella höflich und professionell über die Lippen. Sie hütete sich, sich ihre Erschöpfung nach dem langen Tag anmerken zu lassen.
Der Mann wandte den Kopf, und Bella unterdrückte einen Schrei. Dann stürmten Erinnerungen auf sie ein. Vor sechs Jahren, sie war noch nicht einmal zwanzig gewesen, hatte dieser Mann ihr Herz in seinen Händen gehalten. Und er hatte diese Macht missbraucht.
Ihre Kehle war wie zugeschnürt, als Bella ihm ins Gesicht schaute.
Sie hätte niemals gedacht, ihn wiederzusehen.
Was wollte er hier? Ihre Gedanken überschlugen sich.
„Wenn ich dir erkläre, was ich will, wird dir keine andere Wahl bleiben, als mir zu helfen.“ Sein leichter Akzent war ihr immer noch so vertraut, dass sie eine Gänsehaut bekam.
„Luchino.“ Sein Name kam einem Flüstern gleich über ihre Lippen.
Bella ließ den Blick über sein Gesicht gleiten. Er hatte sich kaum verändert. Dunkles Haar, schokoladenbraune Augen, ein markantes Kinn und ein sinnlicher Mund. Sein durchtrainierter Körper steckte in einem teuren Designeranzug. Durch und durch strahlte er Reichtum, Macht und Sinnlichkeit aus.
„Ja, ich bin’s, Luc. Es ist lange her, Arabella.“ Er musterte sie seinerseits. „Du bist noch schöner geworden.“
Ihr Herz begann zu rasen. Sie verfluchte diese Reaktion auf seine Blicke.
„Du siehst auch gut aus“, gab sie kühl zurück. „Warum bist du hier, Luchino? Ich wüsste nicht, wobei du meine Hilfe bräuchtest.“
„Eigentlich wollte ich dich nie wiedersehen, Arabella.“ Luc presste die Lippen zusammen. „Ich kann dir versichern, dass ich nicht freiwillig hier bin.“
„So. Du würdest mich also lieber nicht sehen. Ich kann dich beruhigen: Diese Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit.“ Obwohl Bella ihm die Worte entgegenschleuderte, blieb der Anflug von Sentimentalität in seinem Blick, und ihr verräterisches Herz rief ihr alles in Erinnerung, was sie miteinander geteilt hatten. Aber diese Erinnerungen waren Illusionen. „Ich muss den Laden jetzt schließen. Warum auch immer du hier bist …“
Maria würde sie umbringen, wenn sie wüsste, dass sie einen Kunden rauswarf.
„Um Himmels willen, mach endlich den Laden zu.“ Mit seiner gepflegten Hand wies er ungeduldig zur Tür. „Oder gib mir den Schlüssel, dann schließe ich ab. Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.“
„Wie kommst du darauf, dass ich mich mit dir allein unterhalten will? Wir sind nicht gerade als Freunde auseinandergegangen, falls du es vergessen haben solltest.“
„Gar nichts habe ich vergessen.“ Seine Worte klangen wie eine Drohung, und er ließ den Blick anzüglich über ihren Körper gleiten.
Aber was sieht er da schon, dachte Bella. Zwar hatte sie eine zarte, glatte Haut und große Augen, deren Braun eine Spur heller war als seine eigenen, aber sie fand ihre Gesichtszüge ein wenig zu herb, um wirklich attraktiv zu sein. Und wieso sollte sie überhaupt auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden, was er dachte?
„Übrigens führe ich einen Laden, ein paar Blocks von hier entfernt.“ Er warf einen Blick auf die Kleider, Hüte, Schals und Handtaschen.
„Der gehört dir?“ Bella versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Vor zwei Wochen hatte ein Juweliergeschäft mit dem Namen „Diamonds by Montichelli“ eröffnet. Sie hatte es in der Zeitung gelesen, es dann aber wieder vergessen. „Ich dachte, der Laden wäre nur eine weitere Filiale der Zentrale in Sydney. Wolltest du dich nicht auf Design konzentrieren?“
Ich dachte, ich sehe dich nie wieder, und ich will dich nie wiedersehen!
Jedes Mal, wenn ihre jüngeren Schwestern in den letzten fünf Jahren gelitten, sich gesorgt oder gefürchtet hatten, waren ihre Gedanken zu Luchino geschweift, weil auch er sie verletzt und verlassen hatte. Genau wie ihre Eltern. Er hatte kein Recht gehabt, mit ihren Gefühlen zu spielen und ihr wehzutun.
Wenn er nun plante, in Melbourne zu bleiben, würde sie ihm wahrscheinlich ständig über den Weg laufen. Wie sollte sie damit fertig werden? Die Ladenschlüssel fielen ihr aus der Hand auf die Glasplatte der Theke, und sie ärgerte sich, dass er diese Schwäche bemerkte. „Arbeitest du hier einen Manager ein, oder planst du, das Geschäft selbst zu führen?“
„Ich bin nicht mehr im Familienunternehmen. ‚Diamonds by Montichelli‘ ist meine Firma. Sie trägt zwar den Familiennamen, aber der Laden wird allein wegen meines Einsatzes, meines Designs und meines guten Rufes florieren.“
Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein schmerzhafter Ausdruck über sein schönes Gesicht, dann senkte er den Blick. „Ich habe mehrere Positionen inne: Geschäftsführer, Chefdesigner, Verkäufer, Handwerker, einfach alles, was gebraucht w