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Mein Bruder wettet nicht
Grey verbrachte den nächsten Vormittag in einem zugigen Raum in Whitehall, wo er das notwendige Übel einer Offiziersbesprechung im Rüstungsministerium über sich ergehen ließ, in deren Verlauf Minister Adams eine nicht enden wollende Rede hielt. Hal hatte vorgegeben, anderweitig beschäftigt zu sein, und Grey an seiner Stelle geschickt – was bedeutete, dachte Grey, während er sich tapfer das Gähnen verkniff, dass Hal wahrscheinlich entweder noch zu Hause war und genüsslich frühstückte oder im White’s Chocolate House in Zuckergebäck und Gerüchten schwelgte, während sich Grey den Hintern taub saß und ringsum über Pulverzuteilungen diskutiert wurde. Es hatte eben Vorteile, wenn man der Ranghöhere war.
Dennoch war ihm seine Lage gar nicht unangenehm. Das 46ste war glücklicherweise gut mit Pulver versorgt; sein Halbbruder Edgar besaß eine der größten Pulvermühlen im Land. Und da Grey jünger als die meisten anwesenden Offiziere war, brauchte er kaum etwas zu sagen und konnte daher seine Gedanken ungehindert zu Percy Wainwright abschweifen lassen.
Hatte er sich geirrt, was die gegenseitige Anziehung betraf? Nein. Noch immer konnte er die große Wärme in Wainwrights Augen spüren – und die Wärme seiner Berührung bei ihrem Händedruck zum Abschied.
Dass Percy dem Regiment beitreten könnte, war eine verlockende Vorstellung. Bei nüchternem Tageslicht betrachtet, konnte es jedoch auch gefährlich werden.
Er wusste nicht das Geringste über den Mann. Natürlich sprach die Tatsache, dass er General Stanleys Stiefsohn war, dafür, dass er zumindest diskret sein musste – aber Grey kannte eine ganze Reihe diskreter Ganoven. Und er durfte nicht vergessen, dass seine erste Begegnung mit Wainwright im Lavender House stattgefunden hatte, einem Ort, unter dessen polierter Oberfläche sich viele Geheimnisse verbargen.
War Wainwright damals in Begleitung gewesen? Grey versuchte stirnrunzelnd, sich an die Szene zu erinnern, doch er war damals so sehr abgelenkt gewesen, dass ihm nur einige wenige Gesichter aufgefallen waren. Ermeinte zwar, dass Percy allein gewesen war, aber … doch. Er musste allein gewesen sein, denn er hatte sich nicht nur vorgestellt – er hatte Grey die Hand geküsst.
Das hatte er ganz vergessen; seine Hand ballte sich unwillkürlich zusammen, und seinen Arm durchfuhr ein Ruck, als hätte er etwas Heißes berührt.
»Ja, ich würde ihn auch am liebsten erwürgen«, knurrte sein Nebenmann. »Dieser alte Schwätzer.« Verblüfft sah Grey den Offizier an, einen Infanterieoberst namens Jones-Osborn, der mit einem finsteren Kopfnicken auf Adams wies, dessen schrille Stimme unaufhörlich vor sich hin predigte.
Grey hatte zwar keine Ahnung, was Adams gerade gesagt hatte, doch er brummte zustimmend und setzte ebenfalls einen finsteren Blick auf. Dies verleitete seinen Nebenmann auf der anderen Seite, durch diese Sympathiebekundung ermutigt einen reichlich mit Kraftausdrücken gespickten Zwischenruf an Adams zu richten.
Der Minister, ein gebürtiger Ire, der vor keiner Konfrontation zurückschreckte, zahlte es ihm mit gleicher Münze heim, und in Sekundenschnelle war die Besprechung zu etwas ausgeartet, das mehr Ähnlichkeit mit einer Parlamentssitzung hatte als mit einem nüchternen Gedankenaustausch unter Militärstrategen.
Da er zwangsweise mit in den folgenden Schlagabtausch hineingezogen wurde, dem ein geselliges Mittagessen mit Jones-Osborn und dem Rest der Anti-Adams-Fraktion folgte, dachte Grey nicht weiter an Percy W