: Sofia Andruchowytsch
: Der Papierjunge
: Residenz Verlag
: 9783701745227
: 1
: CHF 14.40
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 312
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Buch wie eine Wunderkammer: 'Der Papierjunge' erweckt eine vergangene Epoche zum Leben und erzählt von Verstrickung, Hingabe und Verrat. Stanislau um 1900: eine galizische Kleinstadt am Rande der Monarchie. Adelja und Stefa, 'miteinander verflochten wie die Stämme zweier Bäume', einander stützend, einander die Luft zum Atmen nehmend, wachsen gemeinsam auf. Als Adelja den Steinmetz Petro heiratet, wird aus der engen Verstrickung ein Dreieck, aus dem Stefa sich vergeblich zu befreien trachtet. Und als der Magier Torn mit seinem Zirkus die Stadt besucht, taucht plötzlich der engelsgleiche Junge Felix in Petros Werkstatt auf - ein kleiner Schlangenmensch, sprachlos, biegsam und brüchig wie Papier. 'Der Papierjunge' bietet mehr als ein dichtes, mit sinnlichen Eindrücken und Details gesättigtes Bild einer Epoche, es ist eine drängend erzählte Geschichte von Liebe und Verrat.

Sofia Andruchowytsch wurde 1982 in Iwano-Frankiwsk, Ukraine, geboren. Wo sie als Schriftstellerin, Übersetzerin und Essayistin, u. a. für die Literatur-Zeitschrift Tschetwer (Donnerstag), lebt. Sie ist die Tochter des Autors Jurij Andruchowytsch und hat seit 2002 mehrere Prosabände veröffentlicht. 2014 gelang ihr der literarische Durchbruch mit dem Roman 'Der Papierjunge', der zurzeit in mehrere Sprachen übersetzt wird.

[9.I. 1900]
1. Kapitel


Dieses Haus findet keine Ruhe.

Besonders um den Jahreswechsel. Ein Fest jagt das andere: der Technikerball im Theatersaal, der erste »Wollabend«1 in der Moniuszko-Musikgesellschaft, die Akademikerfeier im Kasino, das Kostümfest des örtlichen »Sokol«-Turnvereins – und so geht es ganze zwei Monate lang. Im Stadtkasino haben zu Silvester nur 28 Paare die erste Quadrille getanzt. Dafür waren das »Stern« und die Kleinbürgerliche Gesellschaft gut besucht. Es heißt, unsere Juden hätten sich in ihrem Klub gut amüsiert. Wie jedes Jahr wurde Frau Doktor Esther Funkelstein zur Ballkönigin gewählt, und mit Recht: Denn es gibt niemanden, der auf der Straße nicht stehengeblieben wäre, um sich nach dieser großgewachsenen Frau umzudrehen und ihr nachzuschauen; und danach kreist sie in allen Gedanken wie eine traurige Melodie.

Adelja liebt gesellschaftliche Vergnügungen und nötigt auch mich mitzugehen. Ich will nicht, denn ich weiß genau, wie die Fräulein in ihren Musselinkleidern hinter Adeljas Rücken flüstern: »Adelja Anger geht mit ihrem Dienstmädchen aus, und verheiratet ist sie mit einem russischen Sargtischler.« Aber Petro begleitet sie nie, und alleine kann ich sie nicht gehen lassen.

Petro ist kein Sargti