I. Totengräber Hinkebein
Wenn mir der Hauswart gelegentlich die Post heraufbringt, tut er das nur um einen Vorwand zu haben, mich wieder einmal wegen meines überheizten Ofens zu nerven. Ein unangenehmer Typ. Ich kann sein aufgesetztes Lächeln nicht ertragen. Früher, als ich ihn noch für einen anständigen Kerl hielt, kamen wir manchmal ins Gespräch. Er gab vor, sich für meine Fachbücher über Lepidopterologie, die Schmetterlingskunde zu interessieren. Wir sprachen über die zahllosen Randbemerkungen, die ich in diesen Büchern vorgenommen hatte, weil so unendlich vieles darin nicht der Wahrheit entspricht. Bei solchen Gelegenheiten ließ ich mich leider dazu hinreißen, ihm Einiges aus meinem früheren Leben zu erzählen.
Eines Abends schleppte ich aus dem Keller einen Eimer Kohlen in meine Dachwohnung, während er mit Nachbarn schwatzend auf einem Treppenabsatz stand. Einer rief von unten hinter mir her: „Wie kommt es eigentlich, dass Sie überhaupt noch zu Fuß gehen?!“
Weil ich nicht erkannte, worauf der Mensch hinauswollte, blieb ich stehen und fragte schwer atmend: „Wie meinen Sie?“
„Na ja, Sie als Schmetterling...“, erwiderte er und wedelte heftig mit den Armen. „WarumflatternSie die Treppe denn nicht rauf?“
Hämisches Gelächter verfolgte mich bis vor meine Tür. Am lautesten lachte der Hauswart.
In der Kneipe „Zum letzten Gruß“, wo ich mir gelegentlich nach Feierabend einen guten Schoppen Wein gönne, setzte sich einmal ein Mann mittleren Alters an meinen Tisch. Irgendwie kamen wir – wie könnte es anders sein? – auf Schmetterlinge zu sprechen. Weil es eine so nette Unterhaltung war, spendierte ich ihm ein Getränk, danach noch eines oder vielleicht auch zwei. Dabei geriet ich leidenschaftlich ins Erzählen, und es wurde ziemlich spät. Rein zufällig begegneten wir uns tags darauf am selben Ort wieder. Er gestand mir, wie tief ihn die seltsamen Begebenheiten meines Lebens beeindruckt hatten und forderte mich auf, mit der Geschichte fortzufahren. Von da an trafen wir uns dort allabendlich. Bald schon sagten wir du zueinander und nannten uns vertraulich bei den Vornamen. So fand ich endlich Gelegenheit, jemandem meinen wirklichen Lebenslauf zu offenbaren. Der Mann hatte eine sehr angenehme Art zuzuhören; er redete nie dazwischen und in seinem Gesicht spiegelte sich die aufmerksamste Anteilnahme. Manchmal saßen wir bis in die späte Nacht beieinander, währenddessen manch’ köstlicher Tropfen durch unsere Kehlen perlte. Erst wenn die Wirtin die Stühle