: Karel Szesny
: Der Falter im Blütenschnee
: Abentheuer Verlag digital
: 9783945976029
: 1
: CHF 3.10
:
: Fantasy
: German
: 284
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Als Junge war der alte Totengräber ein fanatischer Schmetterlingssammler. Er jagte die Tiere, präparierte sie fachgerecht und platzierte sie in wunderschönen Schaukästen. Immer wieder erschien ihm ein Falter mit goldenen Flügelrändern, die im Dunkeln hell leuchteten. Stets entwischte ihm dieses herrliche Tier. Niemand wollte ihm glauben, wenn er davon berichtete. Die vergebliche Jagd nach diesem ominösen Schmetterling trieb den Jungen bis in den Wahnsinn. - Als er nach einem entsetzlichen Unfall das Bewusstsein wiedererlangte, hatte sein Körper keine menschliche Gestalt mehr. Das darauffolgende Leben führte ihm seine schwere Schuld schmerzlich vor Augen; das unsägliche Leid der vielen hundert Tiere, die er gnadenlos getötet und mit Nadeln in die Schaukästen gespießt hatte. Und er musste erkennen, dass niemand anders als er selbst es gewesen war, den er verfolgt hatte und vor dem er nun fliehen musste. Tröstlich war für ihn nur, dass er jetzt fliegen konnte mit seinen goldumrandeten Flügeln ...

I. Totengräber Hinkebein


Wenn mir der Hauswart gelegentlich die Post heraufbringt, tut er das nur um einen Vorwand zu haben, mich wieder einmal wegen meines überheizten Ofens zu nerven. Ein unangenehmer Typ. Ich kann sein aufgesetztes Lächeln nicht ertragen. Früher, als ich ihn noch für einen anständigen Kerl hielt, kamen wir manchmal ins Gespräch. Er gab vor, sich für meine Fachbücher über Lepidopterologie, die Schmetterlingskunde zu interessieren. Wir sprachen über die zahllosen Randbemerkungen, die ich in diesen Büchern vorgenommen hatte, weil so unendlich vieles darin nicht der Wahrheit entspricht. Bei solchen Gelegenheiten ließ ich mich leider dazu hinreißen, ihm Einiges aus meinem früheren Leben zu erzählen.

Eines Abends schleppte ich aus dem Keller einen Eimer Kohlen in meine Dachwohnung, während er mit Nachbarn schwatzend auf einem Treppenabsatz stand. Einer rief von unten hinter mir her: „Wie kommt es eigentlich, dass Sie überhaupt noch zu Fuß gehen?!“

Weil ich nicht erkannte, worauf der Mensch hinauswollte, blieb ich stehen und fragte schwer atmend: „Wie meinen Sie?“

„Na ja, Sie als Schmetterling...“, erwiderte er und wedelte heftig mit den Armen. „WarumflatternSie die Treppe denn nicht rauf?“

Hämisches Gelächter verfolgte mich bis vor meine Tür. Am lautesten lachte der Hauswart.

In der Kneipe „Zum letzten Gruß“, wo ich mir gelegentlich nach Feierabend einen guten Schoppen Wein gönne, setzte sich einmal ein Mann mittleren Alters an meinen Tisch. Irgendwie kamen wir – wie könnte es anders sein? – auf Schmetterlinge zu sprechen. Weil es eine so nette Unterhaltung war, spendierte ich ihm ein Getränk, danach noch eines oder vielleicht auch zwei. Dabei geriet ich leidenschaftlich ins Erzählen, und es wurde ziemlich spät. Rein zufällig begegneten wir uns tags darauf am selben Ort wieder. Er gestand mir, wie tief ihn die seltsamen Begebenheiten meines Lebens beeindruckt hatten und forderte mich auf, mit der Geschichte fortzufahren. Von da an trafen wir uns dort allabendlich. Bald schon sagten wir du zueinander und nannten uns vertraulich bei den Vornamen. So fand ich endlich Gelegenheit, jemandem meinen wirklichen Lebenslauf zu offenbaren. Der Mann hatte eine sehr angenehme Art zuzuhören; er redete nie dazwischen und in seinem Gesicht spiegelte sich die aufmerksamste Anteilnahme. Manchmal saßen wir bis in die späte Nacht beieinander, währenddessen manch’ köstlicher Tropfen durch unsere Kehlen perlte. Erst wenn die Wirtin die Stühle