Für die einen war das Töten undenkbar, für die anderen war es machbar. Und dann gab es die, die dazwischen standen, die sich in Mörder hineinversetzen konnten, ohne selbst so zu ticken wie sie.
„Ich habe sie fest im Griff“, pflegte Arnold Körber zu sagen, „sie frisst mir aus der Hand.“ Es klang ein wenig, als wäre Zorzi eine Löwin und er ihr Dompteur. Dabei war Zorzi eine kleine, zierliche Frau, die drei Männer ermordet hatte.
Zorzi war Elisabettas Nachname, aber alle Welt verwendete ihn als Kosenamen. Das Restaurant, das sie in Wien eröffnet hatte, hieß Cantinetta Zorzi.
Zorzi war bildschön. Nicht von jener Art Schönheit, wie die Natur sie erfand, sondern wie sie der Arbeit eines hingebungsvollen Schönheitschirurgen zu verdanken war. Er hatte ihre natürlichen Schlupflider entfernt und den Blick aus ihren rehbraunen Augen weit geöffnet. Die Nase hatte er klein und schmal gestaltet, den Mund dagegen voll und prall. Auf Zorzis kindlichen Körper hatte er runde Apfelbrüste gesetzt, die groß genug waren, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber nicht so groß, dass sie die Ausgewogenheit ihrer Silhouette gestört hätten.
Die Operationen hatte Bernhard, Zorzis damaliger Lebensgefährte, gewünscht und bezahlt. Zorzi hatte sich Stück für Stück in einen Schwan verwandeln lassen, Verbände getragen, Schmerzen erlitten, sich wochenlang in einsamen Hotels in den Bergen versteckt und war am Ende sehr zufrieden gewesen mit dem Effekt, den sie nun bei Männern hervorrief. Sie konnten den Blick nicht von ihr wenden. Sie hörten ihr zu, wenn sie etwas sagte. Sie hielten ihr Türen auf, halfen in Mäntel, rückten Stühle zurecht, ließen ihr den Vortritt, nahmen ihr alles aus der Hand, was sie trug. Sogar die Kellner in ihrem Restaurant arbeiteten jedes Mal schneller und besser, wenn sie nach einer weiteren OP zurückkehrte. Auch Bernhard fand, dass sich die Investition in jeder Hinsicht gelohnt hatte. Die Cantinetta, die er als Zorzis kleines Spielzeug betrachtet hatte, begann so viel Gewinn abzuwerfen, dass er erwog, seinen Job zu kündigen und als Teilhaber mit einzusteigen.
Doch dazu kam es nicht mehr. So sehr Zorzi ihr eigenes Spiegelbild gefiel, begannen im Laufe der Zeit Zweifel an ihr zu nagen. Gedanken, die sie jahrelang in fest verschlossenen Behältern abgefüllt und weggestellt hatte, begannen zu gären, sprudelten, sprengten die Deckel und quollen überall hin. Es kam so weit, dass sie Tag und Nacht daran denken musste, dass Bernhard mit ihrem Originalzustand unzufrieden gewesen war. Sie konnte nicht mehr schlafen. Sie konnte sich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren. Sie konnte ihr neues Leben nicht mehr genießen, denn immer und immer ging es ihr im Kopf herum: Er hat mich verändern wollen. Er hat mich verändert. Er hat mich nicht so geliebt, wie ich war.
Der Originalzustand war weg, aber auch ihr anfängliches Verständnis für Bernhards Wünsche war verschwunden. Jetzt, wo die Männer sie umbalzten, sie in ihrem eigenen Lokal auf Getränke einluden, ihr Geschenke brachten und jeden erdenklichen Dienst antrugen, musste es doch möglich sein, einen besseren zu finden? Bestimmt gab es einen besseren für sie. Einen, neben dem sie nicht wachliegen musste, weil er sie „Kartoffelnase“ genannt hatte, „schmallippiges Mauerblümchen“, „Minititte“ und was nicht alles.
Bernhard machte ihr einen Antrag und Zorzi geriet so in Panik, dass sie ja sagte, nur, damit er die Frage nicht wiederholte. Sie bekam Herzrhythmusstörungen und hatte ein ständiges Würgegefühl im Hals. Als sie abzunehmen begann, traten ihre Wangenknochen noch weiter hervor und ihre Bewunderer bewunderten sie noch mehr. Bernhard schenkte ihr ein protziges Perlencollier. Es stammte von seiner verstorbenen Mutter und sah an Zorzi aus wie ein Würgehalsband.
Die Gelegenheit ihn loszuwerden ergab sich im Urlaub. Sie gingen Bergsteigen im Montblanc-Massiv. Die Franzosen wussten die Schönheit einer Frau zu schätzen und rings um Zorzi summte die Luft von Komplimenten. Bernhards Selbstbewusstsein stieg ins Unerträgliche. Er stellte sie überall als seine Ehefrau vor und wollte, dass sie sich nicht mehr Zorzi nannte, sondern Winkelhuber. Er war voller Energie und voller Kraft. Immer wollte er noch steilere Wege gehen, noch halsbrecherische Touren machen. Anders als Zorzis andere Verehrer sorgte er sich nicht um ihr Wohlbefinden.