: Caitlin Doughty
: Fragen Sie Ihren Bestatter Lektionen aus dem Krematorium
: Verlag C.H.Beck
: 9783406688218
: 1
: CHF 8.90
:
: Gesellschaft
: German
: 270
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie befördert man übergewichtige Tote aus dem obersten Stockwerk auf die Straße? Wie geht man mit den schockierten Angehörigen um? Und wie bekommt man die Knochen in die Urne? In ihrem unter die Haut gehenden Memoir berichtet Caitlin Doughty in teils komischen, teils bizarren Szenen von ihrer etwas anderen Arbeit. Ein eindrucksvolles Plädoyer dafür, unsere Toten nicht länger hinter einem Vorhang aus Angst und Tabus verschwinden zu lassen. Als die 23-jährige Caitlin Doughty ihren Dienst als Krematoriumsfachkraft antritt, ist ihre erste Aufgabe, eine Leiche zu rasieren. So wird sie im Westwind-Krematorium schnell zur Expertin, die vor keiner Aufgabe zurückschreckt. In ihrem wunderbar offenherzig und ironisch geschriebenen Buch öffnet sie uns die Augen für unseren Umgang mit den Toten. Sie blickt zurück in die Geschichte des Todes und erzählt, was in anderen Kulturen mit den Leichen geschieht. Wer schon immer mit einem guten Freund zur Mitternacht einen Friedhof besuchen wollte, um den Tod mit anderen Augen zu sehen, der sollte diese unvergessliche Geschichte lesen.

<p><strong>Cait in Doughty</strong>, geb. 1984, heuerte nach ihrem Studium der mittelalterlichen Geschichte bei einem Krematorium an, führt in Los Angeles ein Bestattungsinstitut und gilt in den USA als"Champion der alternativen Bestattungsindustrie" (Independent). Ihre Youtube-Serie"Ask a Mortician" hat Fans auf der ganzen Welt. Mit dem von ihr gegründeten"Order of the Good Death" setzt sie sich dafür ein, die Menschen wieder stärker mit"ihren" Toten zu konfrontieren.</p>

Eine Frau erinnert sich immer an die erste Leiche, die sie rasiert hat. Es ist das einzige Ereignis in ihrem Leben, bei dem ihr mulmiger wird als beim ersten Kuss oder beim Verlust ihrer Jungfräulichkeit. Nie bewegt sich der Uhrzeiger langsamer, als wenn man mit einem pinkfarbenen Einwegrasierer in der Hand vor der Leiche eines älteren Mannes steht.

Im grellen Schein des Neonlichts blickte ich geschlagene zehn Minuten auf den armen reglosen Byron, so kam es mir wenigstens vor. So hieß er, jedenfalls stand dieser Name auf dem Zettel an seinem großen Zeh. Ich war mir nicht sicher, ob Byron noch als Subjekt (als Person) durchging oder bereits als Objekt (Leiche) galt, aber wenn ich schon eine derart intime Handlung an jemandem vornahm, wollte ich doch wenigstens seinen Namen wissen.

Byron war ein Mann um die siebzig mit einer weißen Haarmähne und dichten weißen Bartstoppeln. Abgesehen von dem Laken, mit dem ich seine untere Körperhälfte abgedeckt hatte, war er nackt. Was ich da eigentlich verhüllen wollte, wusste ich nicht so recht. Offenbar ein Anfall postmortaler Schicklichkeit.

Seine Augen, die in den Abgrund über ihm starrten, waren leer wie geplatzte Luftballons. Sind die Augen eines Liebenden ein kristallklarer Bergsee, erinnerten die von Byron an einen trüben Tümpel. Sein Mund war in einem stummen Schrei erstarrt.

«Ähm, he, äh, Mike?», rief ich meinem neuen Chef aus dem Präparationsraum zu. «Soll ich das mit Rasiercreme machen, oder …»

Mike kam herein, nahm eine Dose Rasierschaum von einem Metallschränkchen und wies mich darauf hin, ein Adlerauge auf die Falten zu haben. «Wenn du ihm ins Gesicht schneidest, haben wir ein Problem. Also sei vorsichtig, okay?»

Klar, vorsichtig. So vorsichtig wie all die anderen Male, wenn ich «jemanden rasiert» hatte. Also nie.

Ich zog die Gummihandschuhe an und fuhr mit dem Daumen über Byrons kalte, steife Wangen, die Bartstoppeln, die ihm in den letzten Tagen gesprossen waren. Ich fühlte mich meiner Aufgabe auch nicht ansatzweise gewachsen. Tatsächlich hatte ich stets geglaubt, Bestatter seien Profis durch und durch, perfekt ausgebildete Experten, die sich unserer Verstorbenen annehmen, damit wir es nicht selbst tun m