1. KAPITEL
Alessandro Tremante lief rastlos in dem lichtdurchfluteten Besprechungszimmer seiner Jacht hin und her, um schließlich doch die Zeitung aufzuschlagen, die auf dem Tisch lag.
Ursprünglich hatte er seine Leute angewiesen, ihm keinen der zahllosen Berichte über den Unfall vorzulegen. Nachdem der erste Schock überwunden war, konnte er den unvermeidlichen Rummel nicht länger ignorieren. Zudem gab es viel zu erledigen, ehe er sich die Zeit nehmen durfte, seinen besten Freund und dessen Frau zu betrauern.
Neuere Skandale hatten den Unglücksfall bereits auf Seite drei verdrängt, wo ein Bild von Leonardo und Alice Arm in Arm gezeigt wurde. Daneben prangte ein Foto des Autowracks. Von dem Aston Martin Baujahr 1967 war nichts übrig als ein Haufen Blech und Kabel. Die Insassen hatten keine Chance gehabt.
Der Text nahm Bezug auf die Modelkarriere von Alice sowie Leonardos unermüdlichen Einsatz für die UN. Hastig überflog Alessandro die Zeilen, bis er an einem Namen hängen blieb: Lorenzo Colei.
Den Namen schwarz auf weiß gedruckt zu sehen, ließ Realität werden, was ihm bislang wie ein ferner Albtraum erschienen war. Ein Foto des Jungen fehlte glücklicherweise. Während Leonardo und Alice sich bereitwillig den Medien präsentiert hatten, hatten sie ihre Familie dem Rampenlicht ferngehalten.
Dafür hatte Alessandro sie bewundert und die Regel auf sein eigenes Leben übertragen. Er zeigte der Presse sein öffentliches Gesicht, niemals aber den Familienmenschen. Dass Leonardo ein wichtiges Mitglied dieser Familie gewesen war, machte den Verlust umso schmerzhafter.
„Alessandro?“
Ungehalten über die Störung wandte er sich um. Im ersten Moment wollte ihm der Name seiner aktuellen Begleiterin nicht einfallen. „Tara“, begrüßte er sie schließlich.
Falls ihr sein Zögern aufgefallen war, ließ sie sich davon nichts anmerken. Kein Muskel zuckte in dem makellos schönen Gesicht, mit dem das Model Jahr für Jahr Millionen Dollar verdiente.
„Alle warten auf dich, Liebling.“ Sie trat zu ihm und nahm ihm die Zeitung aus der Hand.
Das war ein Fehler. Alessandro erstarrte förmlich. Schlagartig war ihm ihre Anwesenheit unerträglich.
Tara, die seine Ablehnung spürte, hob trotzig das Kinn. „Diesen Müll solltest du gar nicht erst lesen. Geh hinaus und zeig allen, dass dieses Debakel dir nichts anhaben kann.“
Sie hat ja recht, dachte er, doch etwas in ihm war zerbrochen. Man nannte ihn gefühlskalt, und das war nicht völlig aus der Luft gegriffen. Nie im Leben hatte er Tränen um andere vergossen, noch nicht einmal um Leonardo und Alice. Doch der Gedanke an das Kind, dessen Name in der Zeitung stand, belastete ihn mehr als irgendetwas zuvor:
Lorenzo – allein, verwaist.
Das „Debakel“, wie Tara es nannte.
„Lass sie doch warten.“ Wie immer in Momenten seelischer Anspannung war sein italienischer Akzent unüberhörbar. „Wieso trägst du dieses Kleid? Wir veranstalten keine Cocktailparty, sondern ein Familientreffen.“
Tara lachte unbekümmert. „Familie? Ich bitte dich! Diese Leute sind nicht mit dir verwandt.“ Sie trat einen Schritt näher und schlang ihm die Arme um die Taille. „Du verfügst über so viel Familiensinn wie ein streunender Kater.“ Unter halb geschlossenen Lidern hervor warf sie ihm einen verführerischen Blick zu. „Ein großer starker unersättlicher Kater.“ Eng an ihn geschmiegt, ließ sie die Hand seinen Rücken hinabgleiten. „Möchtest du nicht mit mir spielen?“
Sex war das Letzte, wonach ihm der Sinn stand, und das ging schon seit Montag so, als ihm sein Assistent Carlo Santini in den frühen Morgenstunden die unfassbare Nachricht überbracht hatte. Danach hatte er sich gefühlt, als wäre er in ein unendlich großes dunkles Loch gefallen. T