1. KAPITEL
Talos Xenakis hatte in seinem Leben schon viele Lügen gehört, besonders hinsichtlich seiner wunderschönen, skrupellosen Ex-Geliebten. Aber diese schlug dem Fass den Boden aus!
„Das kann nicht stimmen“, sagte er und blickte den Arzt wütend an. „Sie lügt!“
„Ich versichere Ihnen, Mr Xenakis, es liegt kein Irrtum vor“, entgegnete Dr. Bartlett mit Grabesstimme. „Sie kann sich an nichts mehr erinnern. Nicht an Sie, nicht an mich, und auch nicht an den gestrigen Unfall. Trotzdem liegen keine erkennbaren Verletzungen vor.“
„Weil sie lügt!“
„Glücklicherweise war sie angeschnallt, als der Airbag aufging“, fuhr Dr. Bartlett unbeeindruckt fort. „Deshalb hat sie keine Gehirnerschütterung.“
Mit finsterer Miene blickte Talos den Arzt an, dessen Reputation ohne jeden Makel war und dessen professionelle Fähigkeiten berühmt waren. Außerdem hatte sich dieser Mann eine goldene Nase an seinen steinreichen, adeligen Patienten verdient und war schon aus diesem Grunde nachweislich nicht bestechlich. Ein Familienmensch, der seiner fünfzigjährigen Ehefrau noch immer in Liebe treu ergeben war; drei Kinder, acht Enkelkinder – also hatte er sich sicherlich nicht verführen lassen. Offenbar glaubte er tatsächlich, dass Eve Craig an einer Amnesie litt.
Talos verzog verächtlich den Mund. Vor elf Wochen, nachdem sie ihn so schamlos hintergangen hatte, verließ Eve Craig Athen wie ein lautloser Geist. Seine Männer hatten auf der ganzen Welt nach ihr gesucht – bis sie vor zwei Tagen erfolgreich waren. Eve tauchte plötzlich in London zur Beerdigung ihres Stiefvaters auf.
Um schnellstmöglich mit dem Privatjet nach England reisen zu können, ließ Talos sogar in diesem Augenblick einen Millionendeal in Sydney platzen. Kefalas und Leonidas hatten Eve bis zu dem gestrigen Nachmittag observiert, als sie die Privatklinik in der Harley Street verließ und anschließend in ihrem silbernen Aston Martin direkt in einen Briefkasten auf dem Bürgersteig raste.
„Es war seltsam, Boss“, hatte Kefalas später erklärt. „Bei der Beerdigung schien es ihr noch gut zu gehen. Aber nachdem sie beim Arzt war, fuhr sie plötzlich wie eine Betrunkene. Sie hat uns nicht einmal wiedererkannt, als wir ihr nach dem Unfall zurück in die Klinik halfen.“
Dr. Bartlett kratzte sich ratlos am ergrauten Hinterkopf. „Ich werde sie zur Beobachtung über Nacht hierbehalten. Auch wenn ich keinerlei äußere Verletzungen feststellen konnte“, fügte er noch einmal nachdenklich hinzu.
Frustriert wiederholte Talos seinen Vorwurf. „Weil sie keine Amnesie hat! Sie hält uns zum Narren!“
Der ältere Arzt richtete sich kerzengerade auf. „Ich glaube nicht, dass Miss Craig lügt, Mr Xenakis. Immerhin kenne ich sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr, nachdem sie mit ihrer Mutter aus Amerika hierhergekommen ist.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Alle Tests waren negativ. Die Amnesie stellt das einzige deutliche Symptom dar. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass der Autounfall lediglich als Auslöser fungierte, das eigentliche Trauma allerdings emotionaler Natur ist.“
„Sie ist also selbst daran schuld?“
„So würde ich das nicht formulieren. Aber das ist ohnehin nicht mein Fachbereich, deshalb habe ich meinen Kollegen Dr. Green konsultie