1. KAPITEL
Kira stand im Schatten der hohen Pinien und schaute über das Bella-Terra-Anwesen hinaus, ihre Aufmerksamkeit auf die andere Seite des Tals gerichtet. In der Ferne zog sich eine weiße Narbe durch die grünen Hügel – die Straße. Kira wartete darauf, eine Wolke toskanischen Staubs zu erblicken, die das Ende ihrer friedlichen Abgeschiedenheit einläuten würde.
Ihr kleines Paradies würde sich bald für immer verändern. Das Land um ihr Haus herum stand zum Verkauf. Wollte man der Maklerin glauben, so hatte der fantastischste Mann der Welt Interesse, es zu kaufen.
Kira wiederum hätte es nicht weniger interessieren können. Sie war nach Italien gezogen, um all dem zu entfliehen. Das, was sie bisher über Signor Stefano Albani gehört hatte, tat nichts, um ihre Meinung über Männer zu verbessern. Die Maklerin war am Nachmittag gekommen, um Albani das Anwesen zu zeigen. Doch als der Mann nicht auftauchte, hatte sich die atemlose Aufregung der Frau mehr und mehr gelegt. Vermutlich war der Milliardär mehr an Frauen interessiert als an einem riesigen Gut.
Als die Maklerin sich dann Sorgen wegen ihres nächsten Termins zu machen begann, hatte Kira angeboten, den Schlüssel zur Villa und das Exposé zu überreichen. Zwar gab sie sich nur ungern mit Fremden ab, aber es sah ja nicht so aus, als würde Signor Albani noch kommen. Und das Angebot war eigentlich eher ein Vorwand, um die Maklerin endlich loszuwerden.
Es klappte. Die Frau eilte davon und ließ Kira allein zurück.
Was gab es Schöneres, als einen Nachmittag lang die Aussicht über Bella Terra zu genießen?
Wolken verdeckten jetzt die heiße Sonne, und Kira wurde immer zuversichtlicher, dass Stefano, der charmante Verführer, nicht mehr kam – eine Erleichterung in mehr als nur einer Hinsicht. Je weniger Hausbesichtigungen stattfanden, desto länger würde es dauern, das Anwesen zu verkaufen. Kira war es gleich, selbst wenn das riesige alte Haus für immer leer stehen sollte. Ihr kleines Häuschen lag separat von der Villa, auch wenn zwischen den beiden Gebäuden Sichtkontakt bestand.
Bella Terras letzter Besitzer, Sir Ivan, war ein ebenso reservierter Mensch gewesen wie Kira. Sie hatten sich jeden Tag über das Tal hinweg zugewinkt, während Kira sich um die Gärten des Anwesens kümmerte. Weiter war ihre Freundschaft nie gegangen, und es hatte ihnen beiden zugesagt. Jetzt war Sir Ivan tot. Seltsam, in den zwei Jahren, seit Kira La Ritirata gekauft hatte, hatte sie kaum – und wenn, dann nur geschäftlich – mit dem Mann gesprochen, und doch vermisste sie ihn. Wer immer Bella Terra kaufte, wäre bestimmt nicht so diskret und unaufdringlich wie der alte Mann. Sie hasste die Vorstellung.
Sie fragte sich, ob die Zukunft vielleicht eine weniger große Bedrohung darstellen würde, wenn sie jemanden hätte, mit dem sie reden könnte. Ein Brief war gestern angekommen. Aus England. Der Umschlag lag ungeöffnet auf dem Küchentisch. Sie wusste, sie würde den Brief beantworten müssen, aber noch brachte sie es nicht über sich.
Bemüht richtete sie ihre Gedanken wieder auf die Szenerie vor sich. Die Wolkenbank über den Hügeln wurde dichter. Bald würde ein Gewitter losbrechen und der Regen die einzige Straße zu Bella Terra in einen schlammigen Fluss verwandeln. Kira lächelte vor sich hin. Sollte Signor Albani wider Erwarten auf dem Weg sein, würde ihm sicher schnell die Lust vergehen, sich mit einem teuren Sportwagen den Hügel hinaufzukämpfen wie ein Lachs gegen die Stromschnellen. Ihr kleines Paradies wäre also noch eine Weile sicher.
Plötzlich meinte sie, eine Veränderung in der Luft zu spüren. Die Vögel stellten ihr Gezwitscher ein, ein Reh brach aus dem Wald und sprang über den Pfad in die Wiese hinein. Kira spürte den Boden unter ihren Füßen beben, instinktiv lief auch sie zu der Sommerwiese. Die Pinienwipfel, gerade noch ruhig, wogten jetzt hin und her wie sturmgepeitschte Wellen.
Doch es war kein Erdbeben, es war etwas viel Alarmierenderes. Ein Hubschrauber stieß aus der Luft herab und riss Ruhe und Frieden des Tales entzwei.
„Für die nächsten zwei Stunden bin ich nicht zu erreichen“, s