1. KAPITEL
Der graue Himmel hing tief über der mexikanischen Kolonialstadt San Miguel de Allende, als ich die Worte hörte, vor denen ich mich im letzten Jahr am meisten gefürchtet hatte. Nacht für Nacht verfolgten sie mich in meinen Albträumen.
„Ein Mann war hier und hat nach dir gesucht, Lena.“
Ich stolperte einen Schritt zurück und drückte meinen kleinen Sohn fester an mich.
„Was meinst du?“
Meine Nachbarin Dolores lächelte und streckte eine Hand aus, um die rosigen Wangen meines Babys zu streicheln. „Ich danke dir, dass du mir Miguelito für eine Stunde anvertraut hast. Er ist so ein süßes Kerlchen …“
„Aber der Mann …?“ Ich wagte es kaum, die Worte auszusprechen. „Wie sah er aus?“
„Muy guapo“, seufzte sie. „Unglaublich attraktiv. Dunkelhaarig und groß.“
Das könnte auf tausend Männer in San Miguel zutreffen, redete ich mir verzweifelt ein. Das weltbekannteInstituto, eine Hochschule für Kunst und Spanisch, machte die Stadt zu einem beliebten Ziel für amerikanische Auswanderer. Vor allem alleinstehende Frauen kamen hierher, um als Künstlerin oder Goldschmiedin eine neue Existenz zu gründen.
Genau wie ich. Hochschwanger und mit gebrochenem Herzen war ich vor einem Jahr hier angekommen und hatte es dennoch geschafft, meinem Sohn und mir ein wundervolles neues Leben aufzubauen.
Vielleicht wollte der dunkelhaarige Fremde nur ein Porträt seiner Liebsten von mir malen lassen. Doch ich glaubte nicht daran. Lähmende Angst floss durch meine Glieder. „Hat er seinen Namen hinterlassen?“
Meine Nachbarin schüttelte den Kopf. „Aber er war sehr teuer gekleidet und fuhr einen Rolls-Royce. Mit Chauffeur und sogar Bodyguards.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. „Hast du einen reichen neuen Liebhaber, Lena?“
„Nein“, flüsterte ich.
Es konnte sich nur um einen Mann handeln. Alejandro Guillermo Valentín Navaro y Albra, den mächtigen Herzog von Alzacar. Den Mann, den ich einmal von ganzem Herzen geliebt hatte. Den Mann, der mich verführt und dann verraten hatte.
„Er ist also nicht dein Geliebter?“ Meine Nachbarin klang enttäuscht. „Schade. So ein gutaussehender Mann. Warum hat er dann nach dir gesucht? Kennst du ihn?“
Meine Gedanken rasten. „Wann genau war er hier?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Vor einer halben Stunde vielleicht.“
„Hast du irgendetwas davon gesagt, dass … dass Miguel mein Sohn ist?“
Dolores schüttelte den Kopf. „Dazu hat er mir gar keine Gelegenheit gegeben. Er hat nur gefragt, ob du in dieser Straße wohnst. Ich habe Ja gesagt. Dann hat er mich gebeten, seinen Besuch nicht zu erwähnen, weil er dich überraschen will.“ Mit