1. KAPITEL
Immer wieder musste Tamara Kendle zu dem attraktiven dunkelhaarigen Mann hinübersehen, der da allein in der vordersten Bank der Kapelle saß – reglos wie ein Fels, den Blick starr geradeaus gerichtet.
Jedes Mal, wenn ihre Aufmerksamkeit nicht ganz dem Pfarrer auf der Kanzel galt, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Schließlich war sie hier, um sich von jemand Besonderem zu verabschieden. Einem Menschen, den sie so sehr vermisste, dass es fast körperlich schmerzte. Sie fühlte sich wie betäubt, gefangen irgendwo zwischen der Wirklichkeit und der Hölle.
Und doch wurde ihr Blick weiterhin wie magisch von dem breitschultrigen Mann links neben dem Rosenholzsarg und den duftenden Lilien angezogen. Obwohl sie sich nie persönlich begegnet waren, kannte Tamara ihn nicht nur vom Hörensagen.
Armand De Luca, Multimillionär und der Stahlmagnat Australiens, der letzte Nachkomme seiner Familie.
Zumindest dachte er das.
Tamara hatte bereits Platz genommen, als De Luca in die Aussegnungskapelle gekommen war. Die ganze Trauerfeier über strahlte sein klassisches Profil die Zuversicht aus, die Männer bewunderten und Frauen sich sofort verlieben ließ. Kantiges Kinn, wohlproportionierte Nase und Lippen, und Augen … strahlend blau, leicht melancholisch und doch allwissend.
„Danke Ihnen allen, dass Sie gekommen sind.“ Tamaras Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Pfarrer. „Nebenan ist ein Imbiss für diejenigen vorbereitet, die sich gemeinsam an Marc Earle erinnern möchten.“
Tamara bekreuzigte sich, sprach still ein Gebet, dann seufzte sie traurig auf. Marc war ihr liebster Freund gewesen. Sie hatten zusammen gelacht, einander alles anvertraut. Und vor ein paar Monaten, als eine Serie unglücklicher Ereignisse sie beinahe in die Knie gezwungen hätte …
Ihr stiegen Tränen in die Augen.
Sie war eine Kämpferin. Das hatte sie bereits als Kind sein müssen. Aber in jener Nacht hatte sie jemanden gebraucht, und, wie immer, war Marc da gewesen.
Als Tamara aufstand, fröstelte sie. Während die anderen Trauergäste langsam die Kapelle verließen, ging Armand De Luca zum Sarg. Mit versteinerter Miene neigte er den Kopf, dann streckte er die Hand aus und berührte das glänzende Holz.
Tamara wurde übel. Sie strich sich das lange dunkle Haar aus dem Gesicht und presste, die Augen geschlossen, eine Hand auf ihren Bauch. Sie atmete tief ein, dann langsam wieder aus. Als sich ihre morgendliche Übelkeit legte, ging ihr Blick erneut zum Sarg hinüber. De Luca war weg.
Sie schlang die Arme um sich, weil ihr plötzlich kalt war, und folgte den anderen nach draußen.
Zwei Freundinnen von Marc gesellten sich zu ihr. Bis auf ihr Haar glichen sich die Zwillinge Kristin und Melanie wie ein Ei dem anderen. Sie hatten ihren netten Nachbarn oft besucht, damit er alles Mögliche für sie erledigte oder ihre Streitereien schlichtete. Jetzt wirkten die beiden ganz verloren.
Langsam schüttelte die blonde Kristin den Kopf. „Ich bin immer noch ges