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Eva
Berlin. Oktober 1937
Abscheulich. Kaputt. Entartet. Verdorben.
Die Worte hämmerten in Evas Kopf. Seit vier Monaten, seit dem Raub ihrer Bilder, hatte das Hämmern der Worte nicht mehr aufgehört. Es waren lediglich neue hinzugekommen, der Hammer spitz und hart wie der Bossentreiber, mit dem Bildhauer Spalte in Stein trieben. Jedes Wort trieb einen Spalt in Evas Schläfe:
Gequälte Leinwand.
Seelische Verwesung.
Krankhafte Fantasten.
Geisteskranke Nichtskönner.
Das hatte Zeile für Zeile auf den Handzetteln gestanden, die in den Straßen verteilt worden waren, um zum Besuch der Ausstellung aufzufordern. Blutrote Handzettel. Damals, für Evas erste Berliner Ausstellung, hatte Alfred Renke-Levin ebenfalls Handzettel drucken lassen, die in harmlosem Weiß gehalten waren.Atemberaubend und nie dagewesen, hatte in der Kopfzeile gestanden.Eva Löbel fängt auf der Leinwand ein, was dem Blick verborgen bleibt.
Über die Formulierung hatten sie endlos debattiert. Eva erschien sie zu betulich, zu zahm, zu wenig provokant. »Klingt wie im Raritätenkabinett«, hatte sie gesagt. »Eva Löbel, Kalb mit drei Köpfen, tausendmal gesehen, reißt nicht mal die tatterigste Oma vom Hocker.«
Letztendlich hatte sie sich gefügt, weil man das als unbekannte Malerin auf Berlins umkämpftem Pflaster eben tat. Insgeheim aber hatte sie sich eine andere Ausstellung gewünscht, eine große, spektakuläre, die nicht nur vom Hocker riss, sondern schockierte. Die nicht den Atem raubte, sondern das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Die hatte sie bekommen. Zwar nicht in Berlin, doch dafür in München, das sich rühmte, die Kunststadt Deutschlands zu sein. Zwar nicht für sich allein, doch dafür zwischen den Werken von Meistern, auf deren Gesellschaft sie unter anderen Umständen maßlos stolz gewesen wäre.Entartete Kunst hieß die Ausstellung. Ein Bossentreiber war ein hartes Werkzeug, das Brocken aus Granit schlug. Die WorteEntartete Kunst waren noch härter. Sie schlugen Brocken aus Evas Herz.
Zwei ihrer Bilder – der junge Mann, den Chaja den traurigen Clown nannte, und die Frau, auf die niemand wartete – waren nach München geschleppt und in die AusstellungEntartete Kunst gehängt worden. In eine Ausstellung, die von München aus durch das gesamte Reich wandern und allen Deutschen zeigen sollte, wie geisteskranke Nichtskönner malten. Wie Kunst aussah, von der die deutsche Seele krank wurde und verweste.
Damals, im Juni, war Eva Amok gelaufen. War von Pontius zu Pilatus gerannt, um herauszufinden, was mit ihren Bildern geschehen war. Amok lief sie noch immer, selbst wenn sie still saß, wenn Wilma und Paul wagten, aufzuatmen. Die zwei waren derart rastlos um sie bemüht, dass Eva sich schämte. Womit hatte ausgerechnet sie solche Freunde verdient? Wilma und Paul wichen nicht von ihrer Seite, überschütteten sie mit ihremPernod, ihrer Zärtlichkeit, ihren Durchhalteparolen, und Eva war nicht einmal in der Lage, es ihnen mit einem Lächeln zu danken.
Tief im Innern wünschte sie sich, dass die beiden Chaja nähmen und gingen, damit sie, Eva, allein sein konnte. Sie wollte keine Liebesbezeugung, sie wollte nicht einmalPernod und erst recht kein Es-wird-alles-wieder-gut. Sie wollte nur eines: kreuz und quer durch ein Land jagen, das verrücktspielte, und ihre Bilder finden. Ihre Bilder und die Steinriesen, die noch unwiederbringlicher waren.
Wilma und Paulchen taten, was sie konnten. Es war nicht ihre Schuld, dass Eva sich nicht beruhi