: Carmen Lobato
: Und sie werden nicht vergessen sein 3 Roman
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426441121
: 1
: CHF 2.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 114
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Amarna, die deutsche Archäologin, und Arman, der armenische Bildhauer - ein wahrhaft unvergessliches Liebespaar: Teil 3 des sechsteiligen Serials! Im London des Jahres 1938 gelten sie als glamouröses Traumpaar, doch ein tiefer Schatten liegt auf ihrer Liebe. Arman hat durch den Genozid an seinem Volk 1915 seine ganze Familie verloren. Wie eine unsichtbare Mauer steht dieses Grauen zwischen den beiden und wächst von Tag zu Tag. Dann bricht der Krieg aus, und Arman meldet sich freiwillig zur Royal Air Force. Am Fuß des Ararat, in den mythischen Ruinen, die die Wiege der armenischen Kultur bergen, wird sich die Kraft ihrer Liebe beweisen müssen.

Carmen Lobato ist Romanistin, arbeitet in einem Museum und war zeit ihres Lebens eine leidenschaftliche Reisende. Für ihren neuen Roman hat sie umfangreiche Recherchen vor Ort in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und dem armenischen Teil von Anatolien betrieben. Carmen Lobato ist als Dozentin tätig und lebt mit ihrer Familie in verschiedenen europäischen Städten. Die versunkenen Kulturen des alten Orients und das tragische Schicksal des armenischen Volkes sind ihr ein besonderes Anliegen.

18


Paul
Berlin. November 1938

Die Frauen, die Paul begehrte, waren groß, schlank, gebildet und wortgewandt. Sie gaben ihm das Gefühl, der Unterlegene zu sein, und gingen mit Männern wie Martin Serner und Arman Artsruni durch, statt an Paul Vollmer hängen zu bleiben. Sooft er sich insgeheim eine von der anschmiegsamen Sorte gewünscht hatte, die mädchenhaft zu ihm aufblickte, hatte er sich prompt wieder an eine verloren, die sich ein paar Wochen lang gönnerhaft seiner annehmen mochte, der er auf Dauer aber nicht gewachsen war.

So war er allein geblieben und zu der Ansicht gelangt, er habe sich damit abgefunden. Jetzt aber fiel das Alleinsein über ihn her, als stürze ihm das Dach seines Hauses auf den Kopf. Er war nicht allein. Er war einsam. Von den Kollegen, die er in besserer Zeit seine Freunde genannt hatte, konnte er mit niemandem reden. Viele waren nicht mehr da, und von den übrigen durfte er keinem vertrauen. Der einzige Mensch, der seine Sorge teilte, war eine zu kurz geratene Kugel von Kneipenwirtin mit einer Schnauze, die Pauls Vater ihr mit Seife ausgewaschen hätte.

Er durfte Wilma Duvenage nicht allzu häufig besuchen. Ohne Zweifel standen sie längst unter Beobachtung, doch die Angst machte das Alleinsein zur Qual. Tagsüber fehlte ihm jede Konzentration, und nachts träumte er von den Fingern der jüdischen Studentin in der Tür. Wenn er von der zerquetschten Hand aufblickte, sah er in Evas Gesicht, sah in ihren Augen eine Anklage, die niemand zu Ende sprechen musste:Warum hast du nicht …?

Ihnen lief die Zeit davon. Seine Seminare waren von Tag zu Tag schlechter besucht. »Die Grippe«, bemerkte Karl Denitz mit einem Unterton, den Paul neuerdings dauernd zu hören glaubte. »Um diese Jahreszeit ist das ja nie viel anders, und so ausnehmend scheußlich war der November noch nie.«

Wann hatte der Dekan begonnen, vom Wetter zu schwatzen, wann hatten sie alle begonnen, im Bemühen um Unverfänglichkeit permanentes Geplapper zu erzeugen? Paul hielt es nicht aus, noch länger zu zögern. Nach der letzten Vorlesung machte er sich auf den Weg in die Bleibtreustraße.

Juden, deren Geschäfte in der Kristallnacht verwüstet worden waren, hatten für ihre Schäden selbst aufzukommen. Das Gesicht des eleganten Viertels um den Savignyplatz war nicht wiederzuerkennen. Zerstörte Schaufenster waren notdürftig mit Pappe vernagelt, belebte Einkaufstraßen blieben leer und still. Wie das Gesicht eines Menschen, durchfuhr es Paul. Er hatte von Greueln nur gehört, nie jemanden gesehen, der von Gestapo-Verhören zurückgekehrt war. In seinem Beruf hatte er gelegentlich mit Archäologen zu tun, die menschliche Schädel und Skelette auf Verletzungen untersuchten, und er war jedes Mal froh, dass dies nicht zu seinen Aufgaben gehörte. Amarnas Mann hatte ein hängendes Augenlid, das sein romantisches Äußeres eher betonte, als es zu entstellen. Als Amarna Paul einmal ins Gesicht geschrien hatte, woher es stammte, war ihm übel geworden.

Vermutlich steigerte er sich in etwas hinein. Eva war eine Frau. Kein Mann, auch kein Nationalsozialist, ging mit einer schönen Frau um wie mit seinesgleichen. Paul bog in die Straße ein, in der Eva wohnte, und glaubte, sie vor sich zu sehen, wie sie imBabeurre stand und alle Blicke auf sich zog, wie sie den Kopf mit dem glänzenden Haar in den Nacken warf und spöttisch lachte.

Beim nächsten Schritt löste das Bild sich auf und wurde überlagert von dem verzerrten Gesicht der Studentin mit den gebrochenen Fingern.

Wilma Duvenage stand vor der Tür ihrer Kneipe