Der Krieg war lustig, fanden die Pariser.Drôle de guerre nannten sie ihn, den komischen Krieg. Was daran komisch war, entging Eva. Sie hatte ihren Humor verloren wie ihre Frechheit, wie den Drang, zu malen, und die Lust, einen Mann in den Armen zu halten. Vielleicht war nur komisch daran, dass man vom Krieg nichts spürte, dass die Leute weiter zur Arbeit und wieder nach Hause gingen, Theater und Kinos besuchten, an Tischen, die Gastwirte auf die Straße räumten, Wein tranken und am Flussufer ihre Picknicks abhielten. Es gab Tage, an denen Eva sich wünschte, der Krieg wäre zu spüren, damit den Parisern ihre ewige Lustigkeit verging. Damit das Volk, das um sie herum Tänzchen aufführte, begriff, was in ihrem Innern angerichtet worden war.
Zerstörung und Leere. In ihrem Kopf war ein Bild, obwohl sie nie mehr malen würde, Schluchten aus zerbombten Mauern, die einst zu Häusern gehört hatten, Straßen aus Schotter, in die kein Mensch zurückkehren würde, weiße Knochen, keinem Geschöpf mehr zuzuordnen. Es war ihr einziges Bild, und hätte sie es malen wollen, hätte sie keine Farbe gebraucht. Das hätte sie den mit dem Schicksal flirtenden Parisern in ihre vom Weinlaub umflorten Schädel blasen wollen: Der Krieg, den ihr komisch findet, geht in mir nie zu Ende. Mein Leben hat keine Farbe mehr, und das Einzige, das ihm noch einmal einen Ton verleihen könnte, einen Schatten von Rot oder Blau, ist jenseits des Meeres. Meine eigenen Freunde haben es verscherbelt, und der Krieg, den ihr komisch findet, hindert mich, es zurückzuholen.
Sie hatte den Türken, der sich ihr Kind unter den Nagel gerissen hatte, gesehen, nicht aus der Nähe, weil in die Galerie kein Hineinkommen gewesen war, aber von einer Brücke. Sie hatte hinuntergeblickt ins lauschige Grün, wo das Völkchen bei Brot und Wein turtelte. Der Türke, den sie sich wie einen Vulkan aus wütender Schöpferkraft vorgestellt hatte, war ein handzahmer Musterknabe des Kunstadels, zu dessen Füßen Jungfern in Ohnmacht sanken. Martin Serner in dunkel. Nicht hübsch und golden, sondern düster-exotisch. Seine Frau war eine rotmähnige Liebesgöttin, die den Rock ausbreitete, um sein Haupt in ihren Schoß zu betten und ihm den Schopf zu kraulen.
Eva hätte gern gespuckt. Oder einen Stein genommen und ihn diesen herzigen Götterlieblingen in ihr Idyll geschleudert. Welches Recht hatten die an ihrem Kind? Waren sie bessere Eltern für Chaja, weil sie auf keiner Liste von auszumerzendem Ungeziefer standen, weil sie im distinguierten England lebten, wo Faschismus als unappetitlich im Keim erstickt wurde, weil niemand gewagt hätte, ihren verzärtelten Gliedern ein Leid zuzufügen? Vermutlich bekamen sie obendrein die Schultern geklopft, weil sie so barmherzig waren, ein Waisenkind bei sich aufzunehmen. Aber Chaja war kein Waisenkind, und die beiden waren überhaupt keine Eltern für sie. Chaja war die kleine Königin der Bleibtreustraße, sie hatte Audienzen gewährt und Barmherzigkeit nicht gebraucht.
Hatte dieses malerische Bilderbuchpaar ein Recht auf Chaja, weil ihr Inneres nicht von Krieg verwüstet war? »Wir bieten dem armen Wurm ein Heim«, mochten sie sagen und ohne sardonischen Zug in eine Kamera strahlen. Aber Chaja hatte ein Heim. Ihr Heim war hier, bei Eva, in ihrem verwüsteten Herzen. Von denen da unten mag bleiben was will, doch von mir bleibt nichts als du.
Dem Türken mit seinem Gang wie ein Swingtänzer, der fragte, was die Welt kostete, küsste die Kunstszene die Fußsohlen. Eva dagegen hatte sie ausgespien. Um einen Blick auf eines seiner Werke zu erhaschen, stand h