Die Erde dreht sich bekanntlich einmal im Jahr um die Sonne. Von uns aus gesehen, scheint es aber so zu sein, dass die Sonne eine kreisförmige Bahn um die Erde beschreibt. Der Astrologie wird vielfach vorgeworfen, sie ignoriere diesen grundlegenden Unterschied. In Wirklichkeit ist er für die astrologischen Horoskopdeutungen jedoch nicht von Bedeutung.
Diesen in den Himmel projizierten Kreis nennt man »Ekliptik«. Die Ekliptik wird in zwölf gleich große Abschnitte gegliedert, denen die Namen der zwölf Stern- bzw. Tierkreiszeichen zugeordnet sind. Zwischen dem 21. April und dem 20. Mai durchläuft die Sonne gerade den Abschnitt Stier, weswegen dieses Tierkreiszeichen auch das »Sonnenzeichen« genannt wird.
Beginnen wir jetzt mit der Betrachtung des Sonnen- oder Tierkreiszeichens, dem dieser Band gewidmet ist, um zunächst einmal herauszufinden, was denn nun »typisch Stier« ist.
Wer Anfang Dezember um Mitternacht in den Himmel schaut, wird sicher zuerst das mächtige Sternbild Orions erkennen. Der rhombische Körper mit dem geschwungenen Schild fällt jedem Beobachter sofort auf. Orion ist das Wahrzeichen des winterlichen Sternenhimmels. Direkt über diesem Sternbild befindet sich ein rötlich flackernder Stern: Aldebaran, das Auge des Stiers.
Die anderen Lichter, die zu diesem Sternbild gehören, sind nicht so leicht auszumachen. Links von Aldebaran sind die beiden Hörner, rechts der Kopf mit Rumpfansatz. Über dem Stierkopf befinden sich die Plejaden. Sie sehen aus wie eine silberne Perlenschnur oder eine Krone. So offenbaren sich dem stillen Betrachter zwei Seiten des Sternbilds Stier: Die Perlenkette steht für Schönheit und Reichtum. Aldebaran verweist auf Leidenschaft und Zorn.
Wenn die Sonne am 21. April das Tierkreiszeichen Stier betritt, beginnt eine Zeit, von der es heißt, dass sie am allerschönsten sei. An grünen Halmen, Zweigen und Ästen öffnen sich die Knospen, und Millionen zarter Blüten zeigen sich dem Licht. Die Natur ist in sich selbst verliebt, vollendet wie das Paradies. Und trotzdem erfüllt die ganze Pracht nur einen einzigen Zweck: den männlichen Pol anzulocken.
Auch in der Tierwelt schmückt sich das Weibchen und verführt den männlichen Widerpart: Es spreizt sein Gefieder, färbt seinen Bauch oder lockt mit den süßesten Tönen. Alles zeigt sich von seiner prächtigsten Seite, rivalisiert um Schönheit und kämpft um den ersten Rang, als gäbe es auf einem gigantischen Ball einen Wettbewerb nach Tönen, Düften und Farben. In keiner anderen Zeit des Jahres ist der Reichtum der Natur so üppig.
Anfang Mai wurden früher auf dem Land Feldumgehungen durchgeführt. Man opferte einen Hahn oder einen Hasen und gedachte der Fruchtbarkeitsgötter, damit sie den Menschen ein reiches Jahr schenken würden. Noch heute segnet der Geistliche während des Fronleichnamsumzugs die aufgegangene Saat und die Wiesen.
Am 1. Mai traf sich die Landbevölkerung unter dem Maibaum. Er wurde von den Burschen manchmal noch während der Winterzeit in oft waghalsigen Aktionen im Wald geschlagen. Dann, am 1. Mai, tranken sie sich Mut an, während die hübschen Mädchen unter dem Maienstamm tanzten. Sie trugen Kleider so bunt wie die Natur und reizten die Jungen mit betörenden Düften und tänzelnden Bewegungen. Auch heute noch gibt es vielerorts diesen Brauch, bei dem weibliche Schönheit mit männlicher Kraft zusammentrifft. Dabei wird noch eine Maienkönigin auserkoren, die dann mit demjenigen jungen Mann das