Land der Weite und allmählich schwindender Zäune
Weite – wenn sich denn die Erfahrung Namibias auf ein Stichwort reduzieren lässt, so ist es dieses: von der Weite des rauen, vom kalten Benguela-Strom geprägten Atlantiks vor der 1500 Kilometer langen Küste, über die Weite des Dünenmeeres der Namib, die schier endlose Weite der Kies-Namib, die flimmernde Weite der Etosha-Pfanne, die Weite des Binnenhochlandes mit seinen ungeheuren Savannen- und Halbwüstenflächen zur im sanften Auf und Ab der Dünenkämme da-hindümpelnden Weite der Kalahari. Weite so vielgestaltig, dass man glauben möchte, die Natur hätte das gesamte Spektrum ihrer Variationsmöglichkeiten zu diesem Thema im Südwesten Afrikas durchzuspielen versucht.
Allein die aufgezählte Vielfalt der in Namibia möglichen Erfahrung von »Weite« deutet darauf hin, dass nicht Leere, nicht Öde das Charakteristikum darstellt. Die Räume sind gestaltet, von verblüffendem Farbenreichtum und überwältigender Kargheit gleichermaßen. Namibische Landschaft ist Erde pur: bizarres Gestein, verkrustete, karstige oder sanft im spärlichen Grasbewuchs gelb schimmernde Ebenen oder auch fragile, in ungewöhnlichen Rottönen schimmernde Gebilde aus Sand. »Afrikas Diamant« nennt sich das Land nicht ohne Grund, entsprechen doch seine Härte wie die Klarheit seiner Formen, seine Kargheit wie die in ihr verdichtete Lebenskraft sehr wohl dem aus reinem Kohlenstoff bestehenden Mineral.
Die Landschaft verdankt ihre Gestalt der geologischen Geschichte wie den klimatischen Einflüssen gleichermaßen. Die ältesten Gesteinsformationen entstammen dem Präkambrium und weisen ein Alter von über 500 Millionen Jahren auf. Gneise, Glimmerschiefer und Quarzite, wie sie im Damaraland zwischen Namib-Gürtel und Etosha zu finden sind, gehören dazu. Etwas jünger, aber immerhin noch über 350 Millionen Jahre alt, sind die Nama-Formationen des südlichen Hochlandes: Kalke, Schiefer und Sandsteine als Bestandteile der Großen Randstufe, des Schwartzrandes um Maltahöhe beispielsweise oder auch des Fish River Canyon. In diesen frühen erdgeschichtlichen Zeiten war Afrika noch Teil des ürkontinentes Gondwana, zu dem auch Brasilien, Vorderindien, Australien und die Ost-Antarktis gehörten. Eis bedeckte das Land vom Kap bis zum Kongo und hinterließ Moränen zwischen Mariental und Keetmanshoop. Folgende Warmzeiten brachten Meeresablagerungen ins Land, so den Schiefer des Verbrannten Berges bei Khorixas oder die mächtigen Baumstämme des Versteinerten Waldes in derselben Gegend. Als der Urkontinent auseinanderbrach, geschah dies mit dem entsprechenden »Urknall«. Vulkane taten sich auf und der Brandberg sowie das Erongo-Gebirge entstanden. Die Ruhe nach dem Sturm, die letzten 65 Millionen Jahre, bescherten Afrika Abtragungsprozesse, die die weiten Hochlandflächen und Absenkungsbecken (etwa Etosha) entstehen ließen.
Straff gespannter Draht parzelliert die scheinbare Unendlichkeit
Erdgeschichte ist freilich kein namibisches Phänomen. Sichtbar, greifbar wurde es hier in besonderem Maße durch das Wirken der Erosion während der letzten Million Jahre. Während dieser erdgeschichtlich kleinen Zeitspanne gruben die Flüsse in feuchten Zeiten ihre Betten tief ins Gestein, formten die markanten Canyons des Landes. In den dazwischen liegenden Trockenzeiten türmten sich die Dünen der Namib und der Kalahari auf und fegte Winderosion die Etosha-Pfanne leer. Der Wechsel von extremer Kälte und Hitze, von Feuchtigkeit und Trockenheit sprengte Gestein, zermürbte weichere Schichten und legte die härteren Formationen bloß. Der »Rohdiamant Namibia« erhielt seinen Schliff. Und er erhielt ihn durch die Natur selbst, nicht durch den Menschen, der in diesem Umfeld ausreichend mit dem bloßen Überlebenskampf beschäftigt war (und ist). So mag es kommen, dass die unterschiedlichen Landschaften auch heute noch eine Form von Urzustand zu spiegeln scheinen.
Namibias absolutes Highlight: die roten Dünen im Sossusvlei
Überhaupt hat es fast den Eindruck, dass der Mensch in diesem Umfeld im Prinzip nicht vorgesehen ist – und wenn doch, dann als bloße Marginalie. Auf einer Fläche von 824 292 Quadratkilometern (die Bundesrepublik Deutschland misst 356 957 km2) leben denn auch nur rund 2,259 Millionen Menschen (Stand 2012), was ca. zwei Drittel der Berliner Bev