: Edmondo de Amicis
: Unsere Freunde
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: 9783956768514
: 1
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: Erzählende Literatur
: German
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Edmondo De Amicis (* 21. Oktober 1846 im Stadtteil Oneglia der heutigen Stadt Imperia, Königreich Sardinien, † 11. März 1908 in Bordighera) war ein italienischer Schriftsteller. (Auszug aus Wikipedia)

Unsere Freunde



Die Freundschaft.


Ich beabsichtige nicht, von der idealen Freundschaft zu sprechen, sondern von jener armen, alltäglichen Freundschaft, unsicher, wie das Wetter, beweglich, wie die Luft, fortwährend von tausend kleinen, elenden Leidenschaften gequält, heute wohlwollend und freundlich, morgen gereizt und rachsüchtig, bisweilen großmüthig, oft klatschsüchtig, fast immer leichtsinnig, nicht selten lügnerisch, die wir selbst auf hundert verschiedene Weisen beurtheilen und zu hundert Zwecken benutzen, in die Ecke werfen oder mit Liebe aufsuchen, abwechselnd zugestehen, wiedernehmen, verweigern, verschwenden, je nach unsrer Laune, unserm Bedürfniß oder unsrer Stimmung, und die so unbestimmt wechselnd ist, wie die Liebe, so mannigfaltig, unergründlich und wunderbar, wie das Menschenherz selbst. So verstehe ich also unter Freunden nicht nur diejenigen, welche diesen Namen verdienen, sondern Alle, denen wir ihn zu geben pflegen, mit denen wir den Anschein der Freundschaft unterhalten, die ganze Schaar von Leuten, die wir genau oder oberflächlich kennen, die wir lieben oder beneiden, denen wir wohl- oder übelwollen, gleichgültige, umschmeichelte oder gemiedene, nahe oder ferne, die wir seit unsrer Kindheit, oder seit gestern kennen, die mit uns durch hundert verschiedene Bande vereinigt sind, von deren jedem wir in gleichgültigem Ton und ohne das Wort auf die Wagschale zu legen, sagen: »Er ist einer meiner Freunde«.

Dies sind die Freunde, welche ich zu analysiren und zu zeichnen versuchen will. Sie sind nicht alle poetisch, und vielleicht kein einziger davon ist heroisch, es ist aber nicht weniger nützlich, sie zu studiren, als die Pylades und Orestes, denn welches auch die Meinung sein möge, die wir von ihrer Freundschaft haben, sie machen die Welt aus, in der wir leben, deren Stimmen

wir hören und die wir von allen Seiten sehen, die wenigen Leute, durch welche die ganze Menschheit vor uns repräsentirt wird: die ersten und einzigen Gesichter, die wir in der unendlichen Menge kennen, jenseits deren wir nur noch ein graues, trauriges Meer von Gestalten ohne Blut und Namen wahrnehmen. Jeder von ihnen ist für uns der Typus einer unzählbaren Menge von Menschen, aus ihnen schöpfen wir unsre Kenntniß vom menschlichen Herze