BILLES TAGEBUCH
24. Oktober 1941 bis 20. April 1945
24. Oktober 1941
Heute mein 10. Geburtstag. Von Inge bekam ich 1 Tagebuch. Von Hänschen 1 Laubsägeherz mit Kerze. Von Helga und Günter 1 Schmuckkästchen. Von Dietrich 1 Feldpost-Päckchen mit Ring aus Afrika. Wunderschön. Von Mutti und Vati 1 Dackelhund. Er heißt Emil. Er folgt mir schon. Er ist süß. Ganz strubbelich.
25. Oktober 1941
Heute nacht war Fliegeralarm. Emil sprang auf mein Bett und bellte. Wir waren 3 Stunden im Keller. Emil bellte immerzu. Er ist aus Thüringen. Er hat noch nie Fliegeralarm gehört. Er wird sich schon gewöhnen.
15. September 1942
Dietrich ist gefallen. Im Juli war er noch hier zu Inges Geburtstag auf Urlaub. Inge und Mutti weinen. Vati weiß es noch nicht. Helga und Günter sind seit 3 Wochen in KLV. Helga ist in Kattowitz, Günter ist im Warthegau. Nur wir vier sind augenblicklich da, Inge und Mutti, Hänschen und ich. Und Emil.
Kinder-Land-Verschickung nach Palovice (Protektorat). Ich bin schon zwei Tage hier, aber ich schreibe jetzt nach, was passiert ist.
Dienstag, den 31. August 1943
Heute fuhren wir um 5 Uhr nachmittags vom Görlitzer Bahnhof ab. Ich wäre natürlich beinahe wieder zu spät gekommen. Armer kleiner Emil, ich mußte dich verlassen. Inge und Mutti kamen mit zum Bahnhof. Ob wir lange wegbleiben? Mutti gab mir viel Lebensmittel mit. In 3 Stunden sollten wir in Dresden sein, aber es wurden ungeahnt 25 Stunden.
Mittwoch, den 1. September 1943
Als wir in Dresden einfuhren, kam Alarm. Alles stürmte in den Luftschutzkeller. Hier bekamen wir Tee und Stullen, von denen Spinne die Wurst verlor. Durch Prag fuhren wir auch.
Donnerstag, den 2. September 1943
Am Abend kamen wir in Palovice an. Das Lager ist in einem neugebauten Schulhaus. Wir 140 Mädel von der Bettina-von-Arnim-Schule sind in einem Flügel. Im anderen sind welche aus Spandau. Die sind schon länger hier. Unser Lagerleiter heißt Otto Weberecht, genannt Weberknecht. Er ist so 50 oder 60. Ich bin mit Spinne und Schwettchen und drei anderen in einem Zimmer. Zur Nacht mußten wir erst noch beziehen und die Strohsäcke aufschütten.
Montag, den 6. September
Heute erster Schultag. Diese Woche ist unsere Stube für das Wecklied dran. Wir müssen schon um halb 7 aufstehen. Heute sangen wir »Steht auf, steht auf, der Tag erwacht!«. Normal ist um 7 aufstehen. Dann Morgenappell. Um halb 8 Frühstück im großen Speisesaal alle zusammen (Butter- und Marmeladenstulle, jeden Morgen dasselbe, brauch ich nicht mehr zu erwähnen). Dann Unterricht bis 13 Uhr. Danach Mittagessen (heute gab’s Buchteln mit Vanillesoße). Danach 1 Stunde Mittagsruhe, dann 1½ Stunden Schularbeiten, dann Kaffee, dann frei oder Gartenarbeit oder Jungmädeldienst usw. 19 Uhr Abendbrot (heute gab’s Kartoffelsalat und zwei Kekse). Danach wieder frei für Schreiben, Putzen und Flicken usw. 21 Uhr Lagerruhe. Jetzt ist es kurz vor 21 Uhr. Wir liegen schon alle in der Heia. Spinne macht gleich das Licht aus.
Donnerstag, den 9. September 1943
Jetzt ist der eine Tag fast so wie der andere. Das 1. Mal nach Hause geschrieben. Strümpfe gestopft. Ob das Essen weiterhin so gut ble