Der Mensch wird erst ganz Mensch infolge einer Rebellion
Rebellion gehört zu den menschlichen Urphänomenen, zum archaischen Grundbestand des Humanen. Die Menschheitsgeschichte beginnt mit einer Rebellion. Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis (1. Moses, 3), werden von Gott aus dem Paradies vertrieben und lernen jetzt erst, was es heißt, Mensch zu sein. Es ist eine elende Plackerei, ziemlich schlecht für die Bandscheibe, die Natur zeigt ihre hässliche Fratze, meistens Regen, gelegentlich Glatteis, wenn man nicht verdammt aufpasst, wird man von einem Mammut überrannt, und auch wer alles richtig macht, immer links, rechts und dann wieder links guckt, bevor er über die Straße geht, nur einmal in der Woche Fleisch isst und Dornkaat meidet, landet dermaleinst sechs Fuß unter der Grasnarbe, um dann, dem Herrn sei’s gedankt, nicht mehr mitansehen zu müssen, wie sich die Würmer ihre Sabberlätzchen umbinden.
Man streitet im Grunde bis heute darüber, aber es gibt Stimmen, die meinen, es habe sich trotzdem gelohnt. Martin Luther zum Beispiel: »Und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.«
Wer Verstand und Bewusstsein will, wie unsereiner, muss irgendwann Småland verlassen. Was die Bibel hier gleichnishaft formuliert, ist eine anthropologische Konstante. In der Onto- spiegelt sich bekanntlich die Phylogenese, in der Individual- die Stammesgeschichte. Jeder Mensch verliert im Laufe der Sozialisation zwangsläufig seine Unmündigkeit – und das äußert sich zunächst mal darin, dass er den Eltern widerspricht. Wer heranwachsende Kinder hat, weiß, wie Gott sich gefühlt haben muss. Es nervt mitunter ganz gewaltig.
Auch bei den ganz alten Griechen, noch vor der Bibel, gibt es die Vorstellung, dass erst die Rebellion den ganzen, vernunftbegabten Menschen macht: im Prometheus-Mythos. Bei Hesiod ist Prometheus – nicht ohne Grund heißt er »der Vorausdenkende« – der Ur-Rebell, der Menschen formt aus Ton, ihnen von seiner Freundin Athene Leben einhauchen lässt, sie unterrichtet und schließlich den Göttern sogar das Feuer stiehlt, damit sich seine Geschöpfe entwickeln können. Zeus straft Prometheus fürchterlich, lässt ihn an eine Felswand im Kaukasus schmieden und schickt einen Adler, der Tag für Tag seine Leber frisst, die nachts wieder nachwächst.
Wahrscheinlich ist er so erbost, weil er ahnt, dass sich dessen Erdenkloß-Mischpoke als ein ebensolches Rebellengesindel entpuppen wird wie ihr Schöpfer. Goethe hat Hesiod in gewisser Weise zu Ende gedacht, wenn er in seinem gleichnamigen »Prometheus«-Gedicht einen selbstbewussten, aufgeklärten Stürmer und Dränger aus ihm macht, der die Götter am beste