: Fridolin Schley
: Verloren mein Vater Roman
: makrobooks
: 9783945944028
: 1
: CHF 4.40
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 238
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit «Verloren, mein Vater» legt Fridolin Schley seinen Debütroman vor: der Erzähler, Peter, Anfang zwanzig und Student der Medizin, blickt auf seine Familie - Schwester, Eltern und die Verwandtschaft -, um im Leben und in der Welt den richtigen Platz, die richtige Position für sich selbst zu finden. Auslöser für diese Neuorientierung ist das plötzliche und mysteriöse Verschwinden des Vaters: von einer seiner Dienstreisen als Photograph kehrt er nicht mehr nach Hause zurück. Niemand weiß, wo er steckt und warum er verschwunden ist. Nur eines steht fest: er lebt, denn in unregelmäßigen Abständen schickt er verschwommene, rätselhafte Photos an seinen Sohn. Schon bald wird Peter klar, daß er das Verhalten seines Vaters nur verstehen kann, indem er auch weiter zurück, in die vorhergehende Generationen blickt und nach Spuren sucht, die von der Vergangenheit in seine Gegenwart führen: auf einfühlsame Weise beschreibt er die Flucht seiner Großmutter und das Kennenlernen seiner Eltern, das schließlich zu seiner Existenz führte, die merkwürdigen Angewohnheiten seiner Schwester, seine eigene schwebende Liebesgeschichte mit seiner Cousine. All diese einzelnen Teile verbinden sich schließlich wie zufällig zu einem Ganzen, und am Ende ist der «junge Held» ein ganz anderer als der, der er am Anfang war.

Fridolin Schley, 1976 in München geboren, studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München und Berlin sowie Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 2012 erschien seine Dissertation er über W.G.Sebald. Heute ist Fridolin Schley Redaktionsleiter beim Literaturportal Bayern und weiterhin als Autor tätig."Verloren, mein Vater" war Fridolin Schleys erste Romanveröffentlichung.

ERSTES BUCH


1. Kapitel (Beerdigung)


Meine Schwester hat die seltsame Angewohnheit zu lachen, sobald etwas derartig spannend, traurig oder unfaßbar ist, daß es einer (körperlichen) Reaktion bedarf. Bedenkt man die Tatsache, daß diese Augenblicke oft alles andere als komisch sind, dann kann man sich die verblüfften Gesichter und Reaktionen derjenigen leicht vorstellen, die in solchen Situationen anwesend sind.

So kommt ihr Freund einmal zu ihr, in der Absicht, die Beziehung zu beenden, und gesteht ihr unter Tränen die Liebe zu einer anderen Frau. Für meine Schwester bricht die Welt zusammen, doch sie weiß der blinden Panik nicht anders beizukommen, als in schallendes Gelächter auszubrechen. Freilich vergießt sie in den Folgetagen ein Meer an Tränen, doch in dieser Sekunde, mit dem weinenden, verlorenen Freund ihr gegenüber, kann sie einfach nicht aufhören zu lachen. Verstört verläßt der Mann ihre Wohnung und kehrt nicht wieder. Erst als sie sich im Spiegel lachen sieht, vor ihr ein verlassener Stuhl, über dem soeben noch eine Jacke hing, kommt meine Schwester zu sich und beginnt zu schreien.

Der Tag, mit dem ich beginne, ist der Tag der Beerdigung meiner Großmutter, der Mutter meines Vaters.

Wir sind mit dem Auto gekommen, den ganzen Weg von München nach Essen. Mein Vater und ich wechseln uns am Steuer ab, meine Mutter sitzt auf dem Beifahrersitz und hat ununterbrochen Angst. Eigentlich wollte sie ja mit dem Zug fahren, doch diese Extrawurst brät bereits meine Schwester, die angeblich noch arbeiten muß und erst am nächsten Morgen, dem Morgen der Beerdigung, zu uns stoßen wird. Wir halten an einem Rastplatz, essen unsere Schinkenbrote und bestellen Orangensaft, Kakao für meine Mutter. Keine Ahnung, warum wir an diesem Morgen bereits um fünf Uhr starten mußten, doch mein Vater wollte es so, und keiner hat widersprochen.

Als meine Schwester und ich noch Kinder waren, fuhren wir fast jedes Jahr zu Ostern nach Essen zu unserer Großmutter. Der Geruch im Hausflur war immer der gleiche; Kinder ordnen die Umwelt mit Hilfe ihrer Nase; nicht die schlechteste Lösung, wie mir scheint.

Essen ist grau und feucht, als wir gegen Mittag ankommen, und der Geruch im Hausflur ist mir vertraut. Noch immer ist mir nicht klar, warum wir bereits jetzt, vierundzwanzig Stunden vor der Beerdigung, hier sind, und weil keiner weiß, was zu tun ist, gehe ich in die Küche und setze einen Topf mit Hühnersuppe auf. Ich schneide noch ein paar Wiener Würstchen dazu und fange an, meine Schwester zu beneiden. Langsam werde ich müde.

Als Dessert serviert mein Vater Feigenlikör. Er hat ihn, auf der Suche nach einem weiteren Glas Würstchen, in der Speisekammer gefunden und erkennt darin denselben Feigenlikör, den er seiner Mutter vor über zwanzig Jahren geschenkt hat. Sie hat ihn niemals geöffnet; damals war ich noch nicht einmal geboren. Ich überlege kurz, aus welchem Grund man seiner Mutter wohl Feigenlikör schenkt, verzichte jedoch darauf, zu fragen. Meine Stimmung verbessert sich, was wohl vor allem dem Feigen likör und der Aussicht zu verdanken ist, später das Tennisfinale der French Open im Fernsehen verfolgen zu können.

Nach dem Essen lege ich mich auf die Couch. Als ich wieder erwache, sind drei Stunden vergangen und das Tennisspiel ist gerade vorbei. Auf die Siegerehrung verzichte ich freiwillig.

Allein meine Mutter hat sich keinen Mittagsschlaf gegönnt, hat statt dessen Bücher eingeräumt, Küche und Bad geputzt, Wäsche gewaschen und getrocknet. Mein Vater schlägt vor, sie solle die Nacht im Bett seiner toten Mutter verbringen.

Abends machen wir noch einen Spaziergang, um ein Restaurant zu suchen, und ich erkenne einen Spielplatz wieder. Das erste Lokal gleicht einer Kneipe am Bahnhof von St. Pauli. Rosa Plastikstü