Mein Leben begann mit einer Flucht. Ich war noch nicht geboren, als meine Mutter vor dem Mann, den ich heute nur noch als meinen »Erzeuger« bezeichne, von Berlin nach Bayern floh. Der Typ muss eine komplette Katastrophe gewesen sein: Säufer, verantwortungslos, spielsüchtig. Das Geld, das meine Mutter für Windeln und Kindernahrung zurückgelegt hatte, hat er einfach verzockt. Um meine vier Jahre ältere Schwester Nina hat er sich nie wirklich gekümmert. Am schlimmsten aber war, dass er meine Mutter verprügelt hat. So heftig, dass man von Misshandlung sprechen kann und sie mehrfach vor ihm abgehauen ist – ins Frauenhaus oder zu Verwandten. Die Zeit Anfang der achtziger Jahre muss ein einziges wirres Chaos gewesen sein. Meine Mutter ist mit meiner Schwester verduftet, mein Erzeuger hat sie wieder aufgespürt, mit Engelszungen geschworen, er würde sie lieben und sich bessern, sie wurde irgendwann weich, ging zu ihm zurück, und der Frieden dauerte zwei Wochen. Dann begann das Drama von vorne. Das Resultat einer dieser kurzlebigen Neuanfänge war die Schwangerschaft mit mir – durch die sich die Situation allerdings auch nicht besserte. Im Gegenteil. Selbst als meine Mutter schon einen dicken Bauch hatte, hat er im Suff die Beherrschung verloren und auf sie eingedroschen. Nach einer dieser Attacken ist sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu einer Schwester meiner Oma geflohen. Nach Süddeutschland. Dort kam ich wenige Monate später zur Welt. Im September1982, in Nymphenburg. Die ersten Jahre meines Lebens habe ich in München verbracht. Meine Mutter hielt sich mit Kellnern und Aushilfsjobs über Wasser, während meine Großtante und eine Cousine abwechselnd auf meine Schwester und mich aufpassten. Ich kann mich an diese Zeit nicht mehr gut erinnern. Es gibt ein paar Fotos, auf denen ich mit Dirndl oder Lederhose durch die Gegend schieße, aber spezielle Erlebnisse aus dieser Zeit sind nicht hängengeblieben. Sie dauerte auch nur fünf Jahre. Danach hatte meine Mutter Heimweh, und wir zogen zurück nach Berlin. In eine große Dreizimmerwohnung in der Schierker Straße in Neukölln, mit der ich die meisten Kindheitserlebnisse verbinde.
Eins dieser Erlebnisse ist die einzige persönliche Begegnung mit meinem Erzeuger. Da er in Gesprächen immer wieder Thema war, wenn auch meist in negativer Form, bin ich neugierig geworden, was das für ein Mensch ist: mein Vater. Ob ich ihm ähnlich sah? Was meine Mutter, die sich immerhin auf eine Ehe mit ihm eingelassen hatte, mal an ihm gefunden hatte? Ob er vielleicht gar nicht so schlecht war, wie alle behaupteten?
Meine Mutter war gegen das Treffen, aber nachdem ich ihr lange genug in den Ohren gelegen hatte, gab sie nach. Sie konnte und wollte mir ein Treffen mit meinem leiblichen Vater nicht verwehren, also vereinbarte sie einen Termin. Ein paar Tage später stand er vor der Tür. Ziemlich versifft, schon leicht alkoholisiert. Ich habe damals viel mit He-Man-Figuren gespielt, und ich weiß noch, dass mich sein Anblick spontan an Skeletor erinnerte, den Bösewicht derMasters of the Universe. Er war dünn, drahtig, hatte strohiges blondes Haar und keine schönen Zähne im Mund. Ein hässlicher Vogel. Aber immer noch dachte ich, dass der erste Eindruck vielleicht täuscht. War leider nicht so.
Der Nachmittag war ein totaler Reinfall. Erst sind wir ins Kino gegangen und haben irgendeinen bescheuerten Asterix-Cartoon geguckt. Asterix und Obelix fand er toll. Er hatte sich die Figuren sogar auf den Arm tätowiert. Nach dem Kino ging es in seine Stammkneipe. Offiziell zum Billardspielen, inoffiziell zum Sauf