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Eva
Vor Berlin. Juni 1937
Weißt du, was noch widerlicher ist, als mit Schweinen zu verkehren?«
Die Stimme ihres Geliebten schreckte Eva aus ihrer Betrachtung. Sie stand über die Halbtür des Kobens gebeugt, der Gestank war zum Gotterbarmen, und der Anblick kein bisschen erfreulicher. Dennoch musste sie sich zwingen, den Blick von den zwei Tieren abzuwenden. Mit den aufgetriebenen Leibern der Schweine erging es ihr wie mit allem, das aus der Masse hervorstach und ihren Blick einfing. Ihre Augen saugten sich fest. Ihr Hirn nahm Maß und fertigte eine Skizze an.
»Ich habe dich etwas gefragt«, sagte Martin. »Aber dass du eine Frage, die derart absurd klingt, ignorierst, wundert mich nicht.«
Statt zu antworten, nahm Eva ihn in Augenschein. Sein Gesicht hätte zu einem asketischen Mönch des Mittelalters gehören können. Sandhell und fein wie Kinderflaum tanzten Haarsträhnen über seiner Stirn und ließen die Haut auf dem markanten Schädel schimmern. Von seinen Augen schwärmte die halbe Nation. Ihr vages Graublau war die einzige Farbe, die nicht in der Tierwelt, sondern nur bei Menschen vorkam.
Eva lebte seit fünf Jahren mit ihm, sie neigte eher zum Spötteln als zum Schmachten, doch der Schnitt seiner Züge weckte noch immer die Schwärmerin in ihr. Sie war Künstlerin, Ästhetin, sie hatte das Recht, sich einen Mann zum Gefährten zu wählen, nach dem der Rest der weiblichen Bevölkerung mit umwölkten Blicken lechzte.Der schöne Martin. Etwas erschrocken lachte sie auf, weil eine gewisse Ähnlichkeit mit den Schweinen sich nicht leugnen ließ. Die rosige Nacktheit. Die Borsten, die aus der Schwarte wuchsen.
Beschimpften Menschen einander deshalb als Schweine? Weil die Ähnlichkeit sich aufdrängte?
»Darf ich wissen, was so lustig ist?«, fragte Martin.
»Darf ich wissen, was dir die Petersilie verhagelt hat?«, fragte Eva zurück.
»Das alles hier.« Martins Lippen wurden schmal. »Dieser traurige Zirkus.« Er zog sie an sich und küsste sie, als wollte er im Schweinestall mit ihr ins Bett. »Lass uns nach Hause fahren, ja? Jetzt gleich.«
»Ohne das heilige Abendbrot?« Eva zog die Brauen hoch und äffte den leidenden Tonfall von Martins Mutter nach: »Jetzt habe ich extra meinen feinen Kartoffelsalat gemacht, soll ich den etwa wegschmeißen?«
Martin verzog keine Miene. »Mir egal«, sagte er. »Ich will zurück nach Berlin.«
Aber Eva war noch nicht fertig. Während der Wochenendbesuche bei Martins Eltern fühlte sie sich stets, als müsste sie rund um die Uhr die Luft anhalten, und irgendwann platzte es dann aus ihr heraus. »Unsereins hat’s nicht so dicke«, wimmerte sie, die Stimme der Mutter weiter imitierend. »Bei uns wird die ganze Woche gekratzt, damit’s am Sonntag zu Buletten reicht, aber ihr seid natürlich was Feineres gewöhnt. Mit einfacher Hausmannskost kann man solchen wie euch ja nicht kommen.«
Wen Hildchen Serner mit »solchen wie euch« meinte, brauchte sie Eva nicht zu erklären. Ihren Zorn lebte sie an ihrem Haarknoten aus und rupfte daran, bis die Nadeln sich lösten. Auf der Schulter spürte sie schwere, streichelnde Strähnen, und ihr Hirn produzierte das Bild, das sich Martin bot:Eva, die Versucherin, den Verlust des Paradieses wert. So erging es ihr ständig: Immer sah sie das Bild, das andere von ihr hatten, so, als hätte sie die Augen ihrer Mitmenschen im Kopf.
»Meine Schädelinnenwand muss als Leinwand für mein ewiges Selbstporträt herhalten«, hatte sie Wilma erklärt, der göttlichsten Freundin, die eine Frau nur haben konnte.
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