: Fridolin Schley
: Wildes schönes Tier Erzählungen
: makrobooks
: 9783945944035
: 1
: CHF 4.40
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: Hauptwerk vor 1945
: German
Ein Paar kehrt zurück an den Ort, den es in der ersten Zeit junger Liebe als magisch empfunden hat, doch die Beschwörung alten Glücks misslingt. Jule beibt nach einem Bad im Meer verschwunden und Arnold glaubt an Selbstmord. Später steht Jule plötzlich neben ihm, bereit für den Wiederbelebungsversuch ihrer Liebe, der die beiden hierher geführt hatte. Doch Arnold wird sich nicht verzeihen können, dass er sich leichteren Herzens mit dem Tod seiner Frau abgefunden hätte als dem Ende ihrer Beziehung. Es ist ein großes Thema, das Fridolin Schley in seinen neuen Erzählungen umkreist, vanitas vanitatum könnte über jeder der Geschichten dieses jungen Autors stehen: Ob in einer denkwürdigen Nacht im abriss-geweihten Palast der Republik oder der heimlichen Manipulation einer fremden Dreiecksbeziehung am Computer der Unibibliothek - stets ist der Autor der Vergänglichkeit auf der Spur und unseren sonderbaren Bemühungen, ihr zu entgehen.

Fridolin Schley, 1976 in München geboren, studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München und Berlin sowie Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 2012 erschien seine Dissertation er über W.G.Sebald. Heute ist Fridolin Schley Redaktionsleiter beim Literaturportal Bayern und weiterhin als Autor tätig."Verloren, mein Vater" war Fridolin Schleys erste Romanveröffentlichung.

Wie fröhlich bin ich aufgewacht /

Wie hab ich geschlafen so sanft die Nacht

DAS HERZ DER REPUBLIK


Erst auf dem Weg nach Hause, als Fabian den Palast über die Spreeseite hin schon lange hinter sich gelassen hatte, wunderte er sich über das Ausmaß seiner Erschöpfung und darüber, dass er mit keinem der anderen Besucher ins Gespräch gekommen war.

Fabian hatte das Gefühl, dass nur die Willkür seiner Orientierungsschwäche ihn dorthin geführt hatte. Auf einem seiner abendlichen Spaziergänge durch die trotz der Weitläufigkeit ihrer Straßen vor allem bei einbrechender Dunkelheit bedrohlich ihn einengende Innenstadt hatte er sich bald im Scheunenviertel verlaufen und richtete, gegen aufwallende Panik, seinen Blick starr auf die farbig blinkenden Lichter des Fernsehturms am Alexanderplatz, ihnen wie von einem Bannstrahl gezogen entgegeneilend, ohne auf den Verkehr oder das lebhafte Treiben in den Seitenstraßen zu achten. Dass ihm als Kind diese Wege einmal zutiefst vertraut gewesen sein mussten, erschien ihm jetzt wie eine undurchsichtige Finte seiner Erinnerung.

Erst die dunkle Weite des Lustgartens und die barocke Erhabenheit des Doms beruhigten ihn so weit, dass er für einen Augenblick stehen bleiben, sich umsehen und erkennen konnte, dass der auf der anderen Straßenseite gelegene Palast der Republik nicht wie angenommen wie ein längst verlassenes Fabrikgebäude in der Dunkelheit kauerte, sondern durch einige der Fenster zum ehemaligen Schlossplatz hin leuchtete und dass sich vor dem Eingang eine größere Menschentraube gebildet hatte, die gerade in diesem Augenblick in Bewegung geriet und ins Innere drängte.

Natürlich war der Palast von Anfang an Fabians Ziel gewesen. Er fühlte sich auf kindliche Weise verwegen, als er das Ende der Schlange erreichte und sich einreihte,ohne zu wissen, was ihn erwartete, und er steigerte das angenehme Gefühl von Wagnis noch, indem er dem Ehepaar vor sich, das elegant gekleidet war, freundlich zunickte und »Angenehmen Abend« wünschte. Der Mann erwiderte seinen Gruß und sagte,Wagner à laDDR, das kann ja heiter werden, und auch den Verantwortlichen am Eingang, der die Eintrittskarten kontrollierte, bedachte Fabian mit einem wissenden Lächeln und trat, ohne aufgehalten zu werden, in die Eingangshalle. Schon begann sich das Publikum zu verteilen; einige verharrten an einem lose aufgestellten Metallgeländer und beobachteten die dahinter ihre Instrumente stimmenden Musiker, die sich am Fuße einer steinernen Freitreppe gruppiert hatten, andere trieben wie auch er tiefer hinein in den Raum und in einen spärlich beleuchteten Gang, dessen Ausdehnung nicht auszumachen war.

Fabian erinnerte sich, dass dieses katakombenähnliche Geschoss ursprünglich nicht den Besuchern des Palastes offen gestanden hatte, sondern mit vielen kleinen Räumen als Stau-und Garderobenraum genutzt worden war. Die Decke des Hauptgangs hing nur knapp über Kopfhöhe, er tastete sich an dem feuchtkalten Gemäuer entlang, an dem links und rechts alte Gasleitungen wie Adern verliefen, setzte jeden Schritt mit Bedacht und ließ seinen Vordermann nie mehr als drei Meter entkommen. Nur nicht verlassen sein hier unten, dachte er, keiner sprach mehr ein Wort, hinter ihm nur das scharrende Geräusch von Schritten, die sich entfernenden Dissonanzen der Instrumente, und sie, die Besucher, wie Gefangene, gemeinsam auf der Flucht. Über eine Treppe, die sich aus dem Nichts rechter Hand aufgetan hatte, erreichten sie das erste Geschoss und betraten erleicht