: Anthony de Mello
: Der springende Punkt Wach werden und glücklich sein
: Verlag Herder GmbH
: 9783451805448
: HERDER spektrum
: 1
: CHF 7.10
:
: Lebensführung, Persönliche Entwicklung
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Anthony de Mellos meisterhafte Anleitung zu einem Leben frei von Zwängen, frei von Enttäuschungen, frei von Ängsten. Wer den Mut hat, sich darauf einzulassen, wird es erleben. Mit weisheitlichen Geschichten aus der östlichen und westlichen Welt bringt er die Kernthemen des Lebens und damit Leserinnen und Leser auf den sprichwörtlich springenden Punkt.

Anthony de Mello, geb. 1931 in Bombay, studierte nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden Philosophie, Theologie und Psychologie in Barcelona, Poona, Chicago und Rom. Bis zu seinem Tod 1987 leitete er ein Beratungs- und Ausbildungszentrum in Lonavla in Indien. Er gehörte zu den großen Weisheitslehrern der Gegenwart.

Die Maskerade der Nächstenliebe


NÄCHSTENLIEBE IST EIGENNUTZ unter dem Deckmäntelchen des Altruismus. Sie finden es sehr schwierig zu akzeptieren, dass Sie zuzeiten nicht wirklich aufrichtig versuchen, Liebe zu üben und Vertrauen zu schenken. Lassen Sie es mich einfacher sagen, so einfach wie möglich. Ja, verdeutlichen wir es so plump und extrem wie möglich, zumindest am Anfang. Es gibt zwei Arten von Egoismus. Bei der ersten habe ich Freude daran, mir selbst zu gefallen. Das nennt man im Allgemeinen Selbstbezogenheit. Bei der zweiten Art habe ich Freude daran, anderen zu gefallen. Das wäre eine raffiniertere Form des Egoismus.

Die erste Art ist leicht zu erkennen, die zweite jedoch ist verdeckt, sehr verdeckt, und deswegen gefährlicher, denn wir finden uns dabei wirklich großartig. Aber vielleicht ist es mit uns gar nicht so weit her? Sie protestieren?

Sie, meine Dame, sagen zum Beispiel, dass Sie allein leben, regelmäßig ins Gemeindezentrum gehen und viele Stunden Ihrer Zeit opfern. Aber Sie geben auch zu, dass Sie es eigentlich aus einem eigennützigen Grund tun – Sie müssen irgendwo gebraucht werden –, und Sie wissen auch, dass Sie dort gebraucht werden wollen, wo Sie glauben, ein klein wenig zum Wohl der Allgemeinheit beitragen zu können. Aber Sie nehmen zugleich für sich in Anspruch, dass man Sie braucht, und schon ist es keine Einbahnstraße mehr.

Sie sind fast aufgeklärt! Wir müssen von Ihnen lernen. Sie sagt: »Ich gebe etwas und bekomme etwas.« Sie hat recht. Ich möchte jemandem helfen. Ich gebe etwas und ich nehme etwas. Das ist gut und schön und in Ordnung. Aber es ist keine Nächstenliebe, sondern aufgeklärter Eigennutz.

Und Sie, mein Herr, weisen uns darauf hin, dass das Evangelium Jesu im Grunde eine Frohbotschaft des Eigennutzes ist. Wir erlangen das ewige Leben durch unsere Akte der Nächstenliebe. »Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz … Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben«, und so weiter. Sie weisen darauf hin, dass dies genau die Bestätigung dessen ist, was ich gesagt habe. Wenn wir auf Jesus schauen, sagen Sie weiter, sehen wir, dass seine Taten der Nächstenliebe letztlich Taten des Eigennutzes waren, um Seelen für das ewige Leben zu gewinnen. Und Sie erkennen das als die ganze Triebkraft und den Sinn des Lebens: Befriedigung des Eigennutzes durch Taten der Nächstenliebe.

Gut, aber Sie mogeln ein bisschen, weil Sie die Religion ins Spiel gebracht haben.

Das ist legitim und zulässig. Aber wie wäre es, wenn ich das Evangelium, die Bibel und Jesus erst am Ende dieser Besinnung behandeln würde. Jetzt möchte ich nur so viel sagen, um es noch komplizierter zu machen: »Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben«, u