: Jochen Gartz
: Narrenschwämme Psychoaktive Pilze rund um die Welt
: Nachtschatten Verlag
: 9783037883679
: 2
: CHF 10.40
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: Natur
: German
: 144
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gordon Wasson, Albert Hofmann und Roger Heim erforschten in den 50er Jahren die psychoaktiven Psilocybe-Arten Mexikos in interdisziplinärer Zusammenarbeit. Neben der ethnobotanischen und mykologischen Erforschung konnten als wirksame Prinzipien der Pilze die Psychedelika Psilocybin und Psilocin isoliert und charakterisiert werden. In den nächsten Jahrzehnten wurden dann diese Alkaloide zunehmend in Pilzarten auch anderer Gattungen rund um die Welt nachgewiesen. Jochen Gartz erforschte selbst über mehr als 15 Jahre alle Aspekte der Pilze auf wissenschaftlicher Basis. Er entdeckte mehrere 'neue' Arten, die er zusammen mit anderen Bearbeitern benannte, so die stark psychoaktiven Pilze Psilocybe azurescens (USA) und Psilocybe natalensis (Südafrika). Begünstigt auch durch seine frühere Tätigkeit in der Arzneimittelforschung und die lang-jährige Beschäftigung mit allen Bereichen, die durch solche psychoaktiven Sub-stanzen angerissen werden, legt er hier dieses interdisziplinäre Standardwerk über psycho-aktive Pilze völlig überarbeitet und aktualisiert erneut vor. Jeweils ausgehend von historischen Aspekten beschreibt dieses kompetent und doch allgemein verständlich alle Wissensgebiete, in denen die Arten myzelartig vernetzt sind. So wird die Mykologie und Chemie genauso ausführlich unter Einschluss vieler farb- uns s/w Fotos beschrieben wie die einzelnen Kulturverfahren. Rein toxikologische und medizinisch-psychotherapeutis he Aspekte sind mit einer Vielzahl detaillierter Wirkungsbeschreibungen einzelner Pilzarten bei unterschiedlichen Dosierungen rund um die Welt verknüpft worden. Auf die Ver-wechslungsgefahren mit tödlich wirkenden Giftpilzen wird genauso hingewiesen wie auf den eventuellen Nutzen von Farbreaktionen zur Differenzierung einzelner Arten. Das interdisziplinäre Werk wird schliesslich durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit mehreren hundert Zitierungen aus unterschiedlichsten Bereichen abgerundet.

Geboren am 1.10.1953 in Mansfeld, Harzvorland. Chemiestudium an der Technischen Hochschule, Merseburg. Arzneimittelforschung in Leipzig. 1984-1991 Akademie der Wissenschaften, Mykologie, Chemie und Kultur von Pilzen, vor allem Psilocybinbildner. Von Jochen Gartz sind im Nachtschattenverlag erschienen: 'Halluzinogene im Sozialismus' (Hrsg.), ' Halluzinogene in historischen Schriften' (Hrsg.), 'Salvia divinorum -die Wahrsagesalbei', 'Psychoaktive Pilze - Bestimmungskarten', 'Narrenschwämme - Psychoaktive Pilze rund um die Welt'. Beiträge in 'Maria Sabina - Botin der heiligen Pilze' und 'Legalitätsbetrachtungen zu psilocybinhaltigen Pilzen'. Er ist Mitglied im ECBS und der 'Deutschen Gesellschaft für Mykologie' und verfasst Artikel für MAPS (USA) und SISSC (Italien).

2.1. Psilocybe semilanceata


Der Klassiker unter den Psychoaktiven Europäern


1799 berichtete E. Brande über eindrucksvolle Intoxikationen mit Pilzen aus London, die am 3. Oktober des gleichen Jahres im St. James Green Park von einer armen Familie gesammelt, danach zubereitet und verspeist wurden (Abb. 9 S. 17).

Nach dem Essen begannen die Symptome beim Vater und seinen vier Kindern sehr schnell, wobei unbegründetes Lachen, Delirien und ausgeprägte Pupillenerweiterungen bei wellenförmig auftretendem Verlauf beschrieben wurden. Der Vater sah zusätzlich noch alle umgebenden Gegenstände in schwarzer Farbe und befürchtete seinen baldigen Tod.

Schon geringe Pilzmengen erzeugten bei zwei Personen (12 und 18 Jahre alt) die gleichen Symptome wie die grossen Portionen der andern Familienmitglieder. Nach wenigen Stunden gingen die Psychosen folgenlos vorüber, dazwischen lagen Therapieversuche mit Brech- und Stärkungsmitteln, denen dann ein Behandlungserfolg zugeschrieben wurde.

Es ist für heutige Betrachtungen ein Glücksumstand, dass neben der Beschreibung dieses typischen Psilocybinsyndroms J. Sowerby die Pilze in sein Buch „Coloured Figures of English Fungi or Mushrooms“ (London 1803) aufnahm (Abb. 3 S. 10).

Dabei fungierte nur die Pilzvarietät mit den kegeligen Hüten als Verursacher der Intoxikationen. Die Darstellung stellt sehr typisch die Psilocybe semilanceata dar, den Spitzkegeligen Kahlkopf, der in der zeitgenössischen Beschreibung als „Agaricus glutinosus Curtis“ auch völlig mit heutiger Kenntnis übereinstimmend erscheint. (Abb. 4 S. 10).

1818 erwähnte dann der berühmte schwedische Mykologe E. Fries den „Agaricus semilanceatus“ in „Observationes Mycologicae“. Der gleiche Pilz wird später auch Lanzenförmiger Düngerling, Coprinarius semilanceatus Fr. oder Panaeolus semilanceatus (Fr.) Lge. genannt bis schliesslich um 1870 die Art von Kummer bzw. von Quelet in die Gattung Psilocybe eingeordnet wurde. So findet man beide gültigen Bezeichnungen in der Literatur:Psilocybe semilanceata (Fr.) Kumm. oder (Fr.) Quel.

Um 1900 nennt M.C. Cooke dann zwei oder drei Gelegenheiten, bei denen Kinder sich in England erneut versehentlich mit der Pilzart intoxierten und wies interessanterweise darauf hin, dass es sich nur um die blauverfärbende Varietät (var. caerulescens) gehandelt hatte. Er fragte sich als erster Mykologe, ob nur diese Varietät giftig wäre bzw. ob diese Verfärbung aus externen Faktoren herrühre, welche die chemische Zusammensetzung in Richtung Gift modifizieren könnten.

Frühe Beschreibungen


In seiner Fragestellung kommt Cooke der Wahrheit schon recht nahe (sieheKap. 4). Psilocybe semilanceata ist mit den mexikanischen psychotropen Arten sehr eng verwandt. Im Erscheinungsbild steht der Pilz Psilocybe semperviva Heim& Cailleux und Psilocybe mexicana Heim nahe und kommt wie diese bevorzugt auf Weiden vor. Diese Ähnlichkeit und die ebenfalls nur diskret auftretende Blauung der Pilze regte die Untersuchung von Fruchtkörpern schweizerischer und französischer Herkunft durch die Gruppe um A. Hofmann und R. Heim in Zusammenarbeit mit dem Pilzfreund Furrer an. 1963 wurde dann über den papierchromatographischen Nachweis von 0,25% Psilocybin in den Trockenpilzen erstmalig berichtet. Die Befunde stellten eine Sensation dar, weil bisher in europäischen Arten das Alkaloid noch nie nachgewiesen werden konnte. Bis zu dieser Zeit lagen nur positive Nachweise der Substanz in Psilocybe-Arten aus Mexiko, aus Asien und Nordamerika vor.

Abb. 10

Die vorzügliche Psilocybe semilanceata – Beschreibung von Michael/Schulz (1927).

Vor 1963 wurden die Pilze jedoch auch schon regelmässig in verschiedenen deutschsprachigen Standardwerken der Mykologie beschrieben. Dazu noch einige Beispiele: InAbb. 6/7 (S.11) stehen sich zwei Beschreibungen im Abstand von etwas mehr als sechzig Jahren gegenüber. Interessant, dass die zweite Beschreibung aus dem Jahre 1962 die Anmerkung „wertlos“ trägt – aus heutiger Sicht eher amüsant! Aber das Wissen um die englischen Intoxikationen drang dennoch nicht dauerhaft ins deutsche Schrifttum ein. Die vorzüglichen Beschreibungen von Michael/ Schulz (1927) und von A. Ricken (1915) bilden eher die Ausnahme. (S. 19). Interessanterweise ist aber in der hier vorgestellten ältesten Quelle vor 1900 das Buch von Sowerby aus dem Jahre 1803 noch als Referenz zitiert. Die Beschreibung der Pilzart im Jahre 1977 zeigt, dass bis auf zusätzlich erwähnte mikroskopische Details die Pilzart heute eher wieder flüchtiger differenziert wird. (Abb.12 auf S.21).

Abb. 11

Rickens Definition der