Vor dem Jahr
An jenem Abend, kurz bevor ich an Bord derEl Al ging, sagte ich Frau Fröhlich den Kampf an. Genau genommen war Frau Fröhlich das Fräulein Fröhlich, auch wenn das keiner so sagte, und wahrscheinlich hatte unser Kampf schon vor einer Ewigkeit begonnen, aber das wusste ich erst in dem Augenblick, in dem der Flug LY 352 zum ersten Mal aufgerufen wurde.
„Ich kann deinen Vater jetzt nicht stören“, sagte sie, während ich mein Mobiltelefon fest an mein Ohr presste. „Herr Dr. Lindemann ist gerade bei ihm.“ Um mich herum redeten alle wild durcheinander, ich konnte kaum ein Wort verstehen und suchte mir eine ruhige Ecke am Fenster. Neben der Maschine hatte die Bundeswehr zwei Panzer bereit gestellt, die uns über das Rollfeld begleiten würden, bis wir deutschen Boden verlassen hatten. Ich ließ meine Augen durch den Raum gleiten, auf der Suche nach einer Toilette. Mein Magen-Darm-Trakt hielt mich schon seit Tagen auf Trab. Ich hatte mir inzwischen abgewöhnt, feste Nahrung zu mir zu nehmen, und eine Vorratspackung Imodium in die Reiseapotheke gepackt.
„Ich bin schon in Schönefeld. Könnten Sie ihm das bitte ausrichten“, sagte ich zu Fräulein Fröhlich und sah, wie sie am anderen Ende des Telefons ihre akkurat gezupften Augenbrauen in die Höhe zog. Sie arbeitete schon seit mehr als dreißig Jahren in der Kanzlei meines Vaters. Ihre Gewichtigkeit war parallel zu seiner Karriere gewachsen, während sie mich noch immer für die Fünfjährige hielt, die,es war einmal, auf ihrem Schoß sitzen und mit der Schreibmaschine spielen durfte. Einen Moment, den sie perfekt zu setzen wusste, hörte ich nur ihr Schweigen in der Leitung.
„Augenblick“, sagte sie dann, immerhin, soviel Absolution hatte selbst sie noch nötig, und hängte mich in die Warteschleife. Draußen sah ich zwei Soldaten, die mit schweren Stiefeln über das Rollfeld liefen und in die beiden Panzer kletterten.
„Es geht jetzt wirklich nicht“, sagte Fräulein Fröhlich, als sie zurück zu mir in die Leitung kam, und ich bildete mir ein, eine gewisse Befriedigung in ihrer Stimme zu hören. „Du weißt doch, Herr Dr. Lindemann. Sie besprechen sich in einer wichtigen Sache.“
Herr Dr. Lindemann, selbstverständlich, Herr Dr. Lindemann, oberste Priorität, Herr Dr. Lindemann, absolute Diskretion. Dieser Name war mir seit frühester Kindheit vertraut. Die Familie Lindemann hatte vor Generationen ein Verlagshaus am Rhein gegründet, ein renommiertes, versteht sich von selbst, und Herr Dr. Lindemann genoss das Privileg, als einziger Klient meines Vaters sogar am Wochenende bei uns zu Hause anrufen zu dürfen.
„Wir melden uns dann bei dir“, hörte ich Fräulein Fröhlich sagen. – „Mein Flug geht in zwanzig Minuten.“ – „Na, dann wollen wir mal hoffen, dass da bei dir alles gut geht“, sagte sie i