Beim Laufen stelle ich mir immer vor, hinter den Feldern sei das Meer. Weite bis zum Horizont, hier und da eine Scheune aufs Grün getupft, knorrige Obstbäume entlang der Wege, vom ständigen Wind gegen den Strich gebürstet.
Im Sommer und im Herbst kommen die Leute aus der Stadt hierher und ernten die Äpfel, Birnen und Pflaumen, die niemandem gehören und allen. Viele schlagen die Früchte brutal mit Stöcken von den Zweigen, während auf der Erde das Fallobst vergammelt, umsurrt von betrunkenen Wespen.
Doch noch war April, und das Wetter wechselte von einem Moment auf den andern, so, wie es sein muss.
Heute brauchte ich mir das Meer nicht vorzustellen, denn es umgab mich von allen Seiten. Die Felder waren kilometerweit mit durchsichtiger Folie abgedeckt, um das Reifen der Erdbeerpflanzen voranzutreiben. In regelmäßigen Abständen war sie mit Sandsäcken beschwert, um zu verhindern, dass sie davonflatterte.
Der Wind trieb Wellen in das künstliche Meer, das so intensiv im Sonnenlicht glitzerte, dass ich fast meinte, Salz auf den Lippen zu schmecken und die Schreie der Möwen hoch oben in der Luft zu hören. Er blies mir das Haar aus dem Gesicht, kühlte den Schweiß auf meiner Haut und erzeugte dieses Glücksgefühl in mir, nach dem ich süchtig geworden war. Es ließ mich so beschwingt laufen, dass meine Füße den Boden kaum zu berühren schienen.
Nach dem langen Winter freute ich mich über jeden Sonnenstrahl. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke auf und schlug den Weg zu dem kleinen Wäldchen ein, das ich jedes Mal umrundete, ohne es je zu betreten.
Etwas daran war mir unheimlich. Es war, als würden sämtliche Geräusche in seiner Nähe verstummen. Es gab nur noch die Bäume und Sträucher, seltsam unberührt von dem Wind, der über die Felder fegte, das Geräusch meiner Schritte und mein Keuchen, das ich vergeblich zu unterdrücken versuchte.
Wie war dieser Flecken inmitten der Felder entstanden? Hatte ihn jemand angelegt? Gab es darin verborgen ein Gebäude, das man von außen nicht sehen konnte? War es ehemaliges militärisches Gebiet? Hatte man hier einen Bunker gebaut?
Aber warum gab es dann keinen Zaun? Keine Mauer? Und wieso wirkte es trotzdem so abgeschottet?
Es verschluckte den Tag und das Licht.
Sogar den Gesang der Vögel.
Schaudernd beschleunigte ich das Tempo und machte mich auf den Heimweg.
Unser Bauernhof war das schönste Haus in Birkenweiler. Ich dachte es jedes Mal, wenn ich es von Weitem erblickte. Seit wir in diesen Stadtteil Bröhls gezogen waren, hatte ich den Schritt noch keinen Tag bereut. Im Gegenteil. Hier befand sich alles, was mir wichtig war.
Ich streifte die durchgeschwitzten Sachen ab und stellte mich unter die Dusche. Während mir das Wasser auf den Kopf prasselte und über den Körper rann, spürte ich, wie sich die Nervosität, die ich beim Laufen komplett verloren hatte, leise wieder meldete.
Zehn Minuten sp