Wieder einmal für Corinna,
wieder einmal mit Dank,
diesmal für besonders viel Geduld.
Kapitel 1
Am Himmel über dem Ural
In den letzten zwölf Stunden hatte sich eine dichte Wolkendecke über das Land unter ihnen gelegt, und darüber war Rochus Dorn sehr erleichtert. Es wäre sonst schwierig gewesen, die Gegend um Jekaterinburg zu erkunden. So aber konnte derAdler sich über den schützenden Wolken halten und der kleine Spähkorb konnte seine Aufgabe erfüllen. Im Nachhinein war Dorn mehr als froh darüber, auf den Einbau des Spähkorbs bestanden zu haben. Die Vorrichtung bedeutete zwar eine halbe Tonne Gewicht mehr, aber das wurde durch den Gewinn an Sicherheit ausgeglichen.
Sie hätten ihr Ziel schon einen Tag früher erreicht, hätte ihnen nicht die beiden Motoren zu schaffen gemacht, die beim Überfall der russischen Kampfflieger beschädigt worden waren. Karl Matthies und seine Männer hatten fast ohne Unterlass gearbeitet, aber erst vor drei Stunden hatte der Chefmechaniker gemeldet, die Motoren seien wieder voll einsatzfähig. Dorn hoffte, dass die eintägige Verzögerung bei der Durchführung ihrer Mission nicht ins Gewicht fiel. Zumindest waren sie vor weiteren Luftangriffen verschont geblieben. Die von Dorn nach dem Überfall angeordnete Fahrt auf sechstausend Meter Höhe hatte sich ausgezahlt.
Er warf einen letzten Blick durch ein Fenster der Führergondel auf die weiße Wolkenschicht, bevor er sich umwandte und sagte: »Pitt, du übernimmst während meiner Abwesenheit das Kommando. Was auch immer geschieht, derAdler bleibt über den Wolken. Verstanden?«
»Jawoll,Herr Kaleu«, sagte Lütter grinsend. »Ich werde den Vogel schon in den Lüften halten.«
Dorn grinste zurück und kletterte hinauf in den Schiffsrumpf, um zum Spähkorb zu gehen, wo sich Dunja von Brauneck, Karl Matthies und ein paar weitere Männer der Besatzung versammelt hatten. Neben Dunja stand Major von Lauenberg, der hier zu nichts nütze war und sich wohl nur das Schauspiel aus der Nähe ansehen wollte. Dunja war ähnlich dick eingemummelt wie Dorn: Thermohosen, eine fellgefütterte Lederjacke und eine Lederkappe, die den Kopf und einen Teil des Gesichts schützte.
Sie sah ihm skeptisch entgegen. »Was willst du hier in diesem Aufzug, Rochus? Ich sollte doch das Gebiet für den Landeanflug ausspähen, weil ich mich in der Gegend auskenne.«
»Ich habe nichts dagegen, Dunja, ich werde dich nur begleiten.«
Dunjas Blick pendelte zwischen Dorn und der kleinen Duralumingondel, die nur für einen Insassen gebaut war. »Das wird aber extrem eng!«
Dorn bedachte sie mit einem entwaffnenden Lächeln. »Früher hast du gegen eine extreme Enge nichts einzuwenden gehabt.«
Ein Grinsen glitt über die Gesichter der Besatzungsmitglieder, während Dunjas Miene sich verfinsterte.
Lauenberg trat einen Schritt vor, um seinen unvermeidlichen Kommentar abzugeben: »Auch ich bin dagegen, dass Sie sich an dem Unternehmen beteiligen, Herr Kapitänleutnant. Wenn etwas schiefgeht und wir die Gondel verlieren, bedeutet das den Verlust des Ersten Offiziersund des Kommandanten.«
»Ich nehme Ihre Ansicht zur Kenntnis, Herr Major«, sagte Dorn und schloss den Riemen seiner Lederkappe.
»Trotzdem wollen Sie sich in die Gondel setzen?«
»Ja, Herr Major. An Bord desAdlers bestimmt nur einer, was geschieht: der Kommandant.«
»Aber ich protestiere dagegen!«
Dorn nickte. »Wenn Sie es möchten, halte ich Ihren Protest im Logbuch fest.«
Er hatte nicht vor, sich von dem Major schikanieren oder provozieren zu lassen. Die letzten Tage an Bord desAdlers waren ruhig verlaufen, ohne böse Zwischenfälle oder Reibereien. Seit Dorn der Besatzung ins Gewissen geredet hatte, lief alles wie am Schnürchen. Gerade jetzt, wo die Mission in ihre kritische Phase trat, hatte er kein Interesse an neuen Disputen.<