Mit Vergnügen
Bis jemand kam, stand ich auf der Brücke und hatte keine Ahnung. Es war windig, der Stadtplan klatschte mir immer ins Gesicht, ich hatte keine Ahnung, nicht mal, wie ich den Stadtplan wieder zusammenfalten sollte. Ich stellte meine Koffer ab, lehnte mich ans Brückengeländer und ließ den Stadtplan um mich herumflattern, bis jemand kam. Sein Anzug war alt, und er trug blitzblanke Lackschuhe.
»Entschuldigung, wo ist denn der Schloßberg«, fragte ich. Der Mann zog ein paarmal an seiner Zigarette, bis die Schrift vor dem Filter verglühte. »Da hoch, glaube ich«, sagte er und zeigte nach links, »Busse fahren da aber nicht.« Er guckte auf meine Koffer und sagte: »Der Schloßberg ist eine eher unglückliche Wahl.«
»Vielen Dank«, sagte ich. »Mit Vergnügen«, sagte er.
Der Schloßberg ist eine eher unglückliche Wahl, dahin führt nur eine Schnellstraße und eine bemooste, schwach beleuchtete Treppe. Vom Berg aus kann ich auf die Dächer sehen und auf den rhabarbersuppengrünen Fluß. Zeitweise ist der ganze Fluß voller Stocherkähne. Ich bin noch nie gestochert, weil ich nicht in diesen Fluß fallen will. Ich habe Angst, daß die dicke Farbe nicht mehr abgeht.
Eines Morgens setzte sich der Hauptdarsteller zu mir in das Bushäuschen unten am Schloßberg und lächelte. »Nicht wahr«, sagte er, »eine eher unglückliche Wahl.« Sein Atem roch nach Tabak. »Ja«, sagte ich. Der Hauptdarsteller schlug den Kragen seines alten Anzugs hoch. Ich umklammerte meine Fahrkarte.
Er fragte, ob ich hier mache, was alle machen. »Was machen alle«, fragte ich. »Germanistik«, sagte der Hauptdarsteller. »Ja«, sagte ich, und daß das eigentlich sehr traurig sei. »Stimmt«, sagte der Hauptdarsteller.
Wenn man sich dick fühlt, sagt meine Mutter, muß man sich zur Not neben jemanden stellen, der noch dicker ist als man selbst. Ich bin nicht dick und brauche daher keinen Dickeren, neben den ich mich zur Not stellen kann, aber ich bin im fünfzehnten Semester, und der Hauptdarsteller erzählte beiläufig, daß er im einundzwanzigsten Semester sei. Eine Stunde später hatte ich drei Busse verpaßt, und der Fahrkartenstempel war auf meine Handfläche abgefärbt.
Seit diesem Tag reiße ich Karten ab und wasche Hemden. Ich pudere Statisten und rühre die braune Paste an für das Gesicht des Hauptdarstellers. Der Weg zum Theater, vom Schloßberg hinunter, dauert so lange wie der zweite Monolog des Hauptdarstellers im ersten Akt, bergauf brauche ich die ganze erste Liebesszene. Wenn es im Spätsommer anfängt zu regnen und der Weg voller Nacktschnecken und nacktschneckenartiger Blätter ist, brauche ich zusätzlich den Mord am Schluß. Der Weg zieht sich hin mit den Nacktschnecken, und so ein Mord aus Liebe auch.
Jeden Abend kommen die Schauspieler nacheinander in den Schminkraum, denn es ist eng. Ich gebe den Statisten ihre frisch gewaschenen Hemden. Während ich die Statisten pudere, erzählen sie mir Liebesgeschichten und gucken dabei in den Spiegel. Sie erzählen lange, denn Statisten brauchen viel Pflege, und beim Erzählen werden ihre Lippen größer und wölben sich wie Nacktschnecken, wenn man sie ins Wasser geworfen hat.
Der Hauptdarsteller redet nicht vor der Vorstellung. Ich mische Theaterschminke in einer Salatschüssel, bis die Schminke eine braune Paste ist, dann verteile ich die Paste auf dem Gesicht des Hauptdarstellers und auf seinem Nacken, dem Hals, auf den Ohren und auf den Händen. Es dauert lange, bis der Hauptdarsteller gleichmäßig braun ist, denn vor der Vorstellung zucken