: Chigozie Obioma
: Der dunkle Fluss Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841209122
: 1
: CHF 7.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 313
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Die Schönheit und die Grausamkeit Afrikas. Benjamin und seine Geschwister leben in der Nähe eines gefährlichen Flusses. Als ihr Vater die Familie verlassen muss, verstoßen sie gegen sein Verbot, sich dem Gewässer zu nähern. Die Fische, die sie dort fangen, sind Vorboten einer Tragödie. Ein faszinierendes Familiendrama und eine sprachmächtige Fabel über das Schicksal Nigerias. Von Afrikas neuem großen Erzähler. Vielfach preisgekrönt, übersetzt in 25 Sprachen. »Das beste zeitgenössische Buch, das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Ein moderner Klassiker.« Maxim Biller im Literarischen Quartett. »Das erstaunlichste Debüt eines neuen afrikanischen Autors.« Sigrid Löffler, Deutschlandradio.



Chigozie Obioma, 1986 in Nigeria geboren, studierte Englisch, Literatur und Kreatives Schreiben auf Zypern und an der University of Michigan. Sein Debüt »Der dunkle Fluss« wurde in 25 Sprachen übersetzt. Der gefeierte Roman gewann zahlreiche Literaturpreise und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize.

FISCHER

Wir waren Fischer.

Meine Brüder und ich wurden im Januar 1996 Fischer, nachdem unser Vater aus Akure weggezogen war, einer Stadt im Südwesten Nigerias, wo wir unser ganzes Leben zusammen verbracht hatten. Sein Arbeitgeber, die nigerianische Zentralbank, hatte ihn Anfang November des vorigen Jahres nach Yola versetzt, das im Norden lag, einen Kamelritt von mehr als tausend Kilometern entfernt. Ich erinnere mich noch an den Abend, als Vater mit dem Brief nach Hause kam, es war ein Freitag. An jenem Freitagabend und auch den ganzen Samstag lang berieten sich Vater und Mutter flüsternd wie Schreinpriester. Am Sonntagmorgen dann war Mutter nicht mehr dieselbe. Sie lief wie eine nasse Maus mit abgewandtem Blick durchs Haus. An diesem Tag ging sie nicht in die Kirche, sondern blieb zu Hause und wusch und bügelte mit undurchdringlicher, finsterer Miene Vaters Sachen. Keiner von beiden sagte ein Wort zu uns, und wir stellten keine Fragen. Meine Brüder Ikenna, Boja, Obembe und ich glaubten, dass Vater und Mutter so etwas wie die Herzkammern des Hauses waren und sie Stillschweigen bewahrten wie das Herz das Blut. Also bohrten wir besser nicht nach. An Tagen wie diesen verzichteten wir darauf, im Wohnzimmer fernzusehen. Wir saßen in unseren Zimmern, lernten oder taten, als lernten wir, verunsichert, aber ohne Fragen zu stellen. Stattdessen streckten wir unsere Fühler nach jedem nur erdenklichen Hinweis aus.

Gegen Einbruch der Dämmerung fielen dann die ersten Informationsbrocken aus Mutters Selbstgesprächen wie winzige Federn aus einem reich gefiederten Vogel: »Was ist das für ein Job, der einen Mann davon abhält, seine Söhne großzuziehen? Selbst wenn ich sieben Hände hätte, wie soll ich mich allein um die Kinder kümmern?«

Obwohl diese brennenden Fragen an niemand Spezielles gerichtet waren, waren sie sicherlich für Vaters Ohren bestimmt. Er saß allein im Wohnzimmersessel, das Gesicht hinter einer Ausgabe seiner LieblingszeitungThe Guardian verborgen, halb lesend, halb Mutter lauschend. Und obwohl er alles mitbekam, stellte er sich jedes Mal taub, solange das, was er als »feige Worte« bezeichnete, nicht direkt an ihn gerichtet war. Er widmete sich einfach weiter seiner Lektüre und schimpfte oder freute sich zwischendurch über etwas, das er gerade gelesen hatte: »Wenn es einen Funken Gerechtigkeit auf der Welt gibt, wird Abachas Frau, diese Hexe, bald um ihren Mann trauern.« »Wow, Fela ist ein Gott! Meine Güte!« »Reuben Abati sollte gefeuert werden!« Nur um den Eindruck zu erwecken, dass Mutters Klagen vergeblich waren und niemand sie beachtete.

Bevor wir an diesem Abend schlafen gingen, hatte Ikenna, der fast fünfzehn war und auf dessen Meinung wir uns meist verließen, die Vermutung geäußert, Vater würde versetzt. Boja, der ein Jahr jünger war und nicht als ahnungslos dastehen wollte, hatte behauptet, Vater würde wahrscheinlich ins Ausland gehen, in die »westliche Welt«, wie wir oft befürchteten. Obembe, mit seinen elf Jahren zwei Jahre älter als ich, hatte keine Meinung dazu. Genauso wenig wie ich. Aber wir wurden nicht lange auf die Folter gespannt.

Die Antwort kam am nächsten Morgen, als Vater plötzlich in Obembes und