: Elisabeth Herrmann
: Der Schneegänger Kriminalroman
: Goldmann
: 9783641155063
: Sanela Beara
: 1
: CHF 8.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein kleiner Junge wird entführt - und alle Ermittlungen laufen ins Leere. Vier Jahre später wird sein Skelett im Wald gefunden. Polizeimeisterin Sanela Beara muss dem Vater die schlimme Nachricht überbringen. Doch die Begegnung mit dem gut aussehenden Darko, der in den Wäldern Brandenburgs als Wolfsforscher arbeitet, löst Zweifel in ihr aus: War es wirklich eine Entführung? Oder wurde der Junge aus einfachen Verhältnissen etwa verwechselt? Doch alle Beteiligten schweigen eisern. Für Sanela gibt es nur eine Chance, Licht ins Dunkel zu bringen: Sie schleust sich undercover in die Villa der schwerreichen Familie Reinartz ein, bei der die Mutter des ermordeten Jungen damals gearbeitet hat - und wird hineingezogen in einen Strudel aus Hass, Gier und Verachtung, der sie selbst an ihre äußerste Grenze treibt ...

Elisabeth Herrmannwurde 1959 in Marburg/Lahn geboren. Nach ihrem Studium als Fernsehjournalistin arbeitete sie beim RBB, bevor sie mit ihrem Roman 'Das Kindermädchen' ihren Durchbruch erlebte. Fast alle ihre Bücher wurden oder werden derzeit verfilmt: Die Reihe um den Berliner Anwalt Joachim Vernau sehr erfolgreich vom ZDF mit Jan Josef Liefers. Elisabeth Herrmann erhielt den Radio-Bremen-Krimipreis, den Deutschen Krimipreis und den Glauser für den besten Jugendkrimi 2022. Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin und im Spreewald.

1

Die Kälte erwürgte die Stadt.

Verlassen die Boulevards, klirrend die Einsamkeit über den Straßen und Plätzen. Die Schneeberge am Rand der Bürgersteige waren nur mühsam zu erklimmen. Es war noch dunkel, der Schein der Straßenlaterne erhellte kaum die Kreuzung und schon gar nicht die vereisten Spurrillen, in denen die Autos herumschlingerten wie in schlecht ausgehobenen Gleisbetten. Kriminalhauptkommissar Lutz Gehring rutschte mehrfach aus und hielt sich mühsam balancierend an seinem Wagendach fest, um auf die Fahrerseite zu gelangen. Wie viel Restalkohol hatte er wohl noch im Blut? Seine Mordkommission war in Bereitschaft. Er als ihr Leiter hätte um 05:30 Uhr morgens fit und ausgeschlafen den neuen Unbekanntfall übernehmen sollen.

Stattdessen glitt ihm auch noch der Autoschlüssel aus den klammen Fingern. Die Fahrertür bekam er erst im dritten Anlauf und mit ziemlicher Kraftanstrengung auf. Die Dichtung dankte es ihm mit einem unheilvoll reißenden Geräusch, das an das Öffnen eines Klettverschlusses erinnerte. Endlich hatte er sich hinter das Lenkrad gezwängt, behindert von der dicken Winterkleidung, startete den Motor und lenkte die eiskalte Heizungsluft auf die zugefrorenen Scheiben. Er hoffte, dass ihn niemand bei diesem umweltpolitischen Frevel beobachtete. Sein Handy klingelte. Mühsam wühlte er in der Tasche seines Wintermantels, bis er es gefunden, einmal in den Fußraum fallen gelassen und endlich am Ohr hatte.

»Ja?«, bellte er.

»Ich bin’s.« Die glockenhelle Stimme von Angelika Rohwe klang exakt so, wie er sich eigentlich fühlen sollte.

Seit der Weihnachtsfeier vor sechs Wochen meldete sie sich nicht mehr mit ihrem Namen, wenn sie bei ihm anrief. Ein weiteres Indiz dafür, dass er an jenem Abend eine Grenze überschritten hatte. Sie hatten das Vereinsheim eines Schützenverbandes am Müggelsee gemietet. Es hatte von Anfang an kein guter Stern über diesem Abend gestanden, zumindest nicht für ihn. Die rustikale Enge, eine weit jenseits von Geschmacksdiskussionen liegende Musikauswahl und die Aussicht, in seine halb leere Wohnung mit halb eingepackten Weihnachtsgeschenken zurückzukehren, hatten ihn unvorsichtig werden lassen. Ein trunkener Gang über den Parkplatz weit nach Mitternacht, einer den anderen stützend, ihr keckes Lächeln, als sie seinen Wagen als Erste erreicht hatte, der flüchtige Abschiedskuss, der sich zu einer veritablen Knutscherei ausdehnte, blonde Haare, blaue Augen, Sommersprossen, sogar die Größe kam hin. Beim Aufwachen hatte er sie mit Susanne angesprochen, und bis heute hoffte er inständig, dass sie den Ausrutscher überhört hatte. Er hatte eine Entschuldigung gestammelt und war überstürzt aus ihrer Wohnung geflohen. In stillschweigender Übereinkunft hatten sie diese Nacht nie wieder angesprochen. Doch seitdem meldete Angelika sich mit »Ich bin’s«, und Gehring wusste nicht, wie er sie dazu bringen konnte, das bleibenzulassen. Er wollte sie nicht verletzen, redete er sich seine Feigheit schön.

»Ich muss sowieso über Köpenick. Soll ich dich mitnehmen?«

Gehring erinnerte sich nicht daran, Angelika gegenüber jemals erwähnt zu haben, wo er wohnte.

»Danke. Ich bin schon im Wagen. Bis gleich.«

Er legte auf und sah in den Rückspiegel. Ihm blickte das entgegen, was er im Stillen sein Montag-alle-zwei-Wochen-Gesicht nannte. Das, was von ihm übrig blieb, wenn er die Kinder am Sonntag bei seiner Ex und ihrem Neuen ab