: Antje Vollmer
: Doppelleben Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop
: Die Andere Bibliothek
: 9783847753094
: Die Andere Bibliothek
: 1
: CHF 13.40
:
: Geschichte
: German
: 416
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Einsatz auf Leben und Tod*Die bewegende Doppelbiographie über ein charismatisches Paar, das den Widerstand gegen Hitler wagte.*In ihrer bewegenden Doppelbiographie vergegenwärtigt Antje Vollmer die Familiengeschichten zweier junger Adeliger aus einem heute fernen Ostpreußen, die um der menschlichen Würde willen ihr Leben und das ihrer Töchter und Angehörigen einsetzten.*Das Interesse an den wenigen Deutschen, die den Widerstand gegen Hitler riskierten und nach einer Vielzahl von Versuchen am 20. Juli scheiterten, war in Deutschland nie populär.*Zu den fast vergessenen Mitgliedern der militärischen Fronde gegen Hitler gehört auch Heinrich Graf Lehndorff, der schon 1939/40 zum Kreis um Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg stieß - und am 4. September 1944, als 35jähriger und nach zwei dramatischen Fluchtversuchen, in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.*In »Doppelleben« hat Antje Vollmer ein beinahe unbekanntes Kapitel der Verschwörungsgeschichte gegen Hitler neu erschließen und die privaten und politischen Facetten einer tragischen Geschichte des Scheiterns zusammensetzen können: anhand unveröffentlichter Erinnerungen von Gottliebe von Lehndorff, Abschriften von Tonbandgesprächen, ihrer und Heinrich von Lehndorffs Briefen - darunter dessen erschütternde, umfassend abgedruckte Abschiedsblätter - und schließlich anhand unbekannten Fotomaterials. Eingebettet in die militärhistorischen Geschehnisse in Deutschland und Europa vor allem seit Kriegsbeginn 1939, werfen wir einen Blick auf die dramatischen Tage und Stunden rund um den 20. Juli 1944.

Antje Vollmer, geboren 1943, ist promovierte Theologin und war fast 20 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags, von 1994 bis 2005 als Bundestagsvizepräsidentin. Sie war als vielbeachtete Publizistin tätig und wurde unter anderem mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille und dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet. Von Václav Havel wurde ihr der Masaryk-Orden verliehen.

FAMILIENGESCHICHTEN I – GROSSE VORFAHREN


Der junge Graf Heinrich war ein Lehndorff. Auch wenn ihm das offenbar in seiner Kinder- und Schulzeit nicht allzuviel bedeutete, wer aus einer solchen Familie stammt, wächst mit Geschichte auf – und mit vielen Geschichten.

Die Lehndorffs gehören zu den großen und bekannten Familien Ostpreußens, wie die Dohnas, Dönhoffs, Eulenburgs, Groebens, Kanitz. Alle diese Familien leben heute nicht mehr an ihren Herkunftsorten, sie haben auch nicht mehr ihre frühere Bedeutung. Damit fängt die Schwierigkeit der Suche nach den fernen Wurzeln eines individuellen Schicksals an, das ohne diese Ursprünge doch nicht zu verstehen ist. Jede Kindheit hat ihre Vorgeschichte, und manche Vorgeschichten prägen ein späteres Leben mehr, als es den einzelnen bewußt ist.

Viele der großen Adelsfamilien waren Anfang des 16. Jahrhunderts mit dem Deutschen Ritterorden nach Ostpreußen gekommen. Die Wurzeln der Lehndorffs reichen weiter zurück. Sie waren westpreußisch-pruzzischer Abstammung, hatten also seit Menschengedenken in diesen östlichen Landstrichen gelebt. Erst seit 1420 ist das spätere Steinort als Stammsitz der Familie vermerkt. Ihre Ursprünge aber sind im westpreußischen Kulmer Land zu finden, im Geschlecht der Stangos. Lange vor der Ankunft der Deutschen Ritter siedelten sie in einer Ortschaft namens Mgowo. Dieser Flecken wurde dann zur Zeit der Ritterherrschaft »Legendorf« genannt. Die Vorfahren der Lehndorffs müssen in ihrem Stammesgebiet eine führende Funktion gehabt haben – sei es durch offene Wahl der ansässigen freien Bauern, sei es durch glücklich gewonnene Familienfehden. Erst mit dem anbrechenden Jahrhundert der fremden Kolonisatoren mußten sie sich dem Orden unterwerfen oder waren gezwungen, sich mit ihm zu arrangieren. Was ihnen einst gehörte, wurde nun zum »Lehen« erklärt. Folglich hießen sie »von Legendorf«, später »von Lehendorf« oder »von Lehndorff«.

Information 2009 von Stanislaus Graf Dönhoff, Schönstein

Die Politik, das Militär, der Landbesitz und vor allem die Pferde bestimmten die Geschicke aller Geschlechter der Lehndorffs. Eines der bekanntesten Familienmitglieder aus dieser Zeit der Kooperation mit dem Ordensstaat war Paul Legendorf, der Bischof von Ermland. Die ersten Gutsbesitzer erhielten den Titel »Amtshauptmann von preußisch Eilau bzw. von Oletzkow«. Der erweiterte Besitz Steinort wurde wahrscheinlich Fabian von Lehndorff zugesprochen, obwohl die ostpreußische Geschichtsliteratur meist vermeldet, daß die Verleihungsurkunde für die »Große Wildnis am See« – das spätere Steinort – erst Anfang des 16. Jahrhunderts vom deutschen Ritterorden an Fabian, Caspar und Sebastian von Lehndorff gemeinsam ausgestellt worden sei. Im Jahre 1590 wurde deren Enkel, Meinhard, geboren, der die berühmteste Sehenswürdigkeit der Steinort-Anlagen gepflanzt hat, die Eichenallee, die bis heute als Naturschönheit eine magische Aura hat. Meinhard war Oberstleutnant und Landrat von Rastenburg. Mit dessen Sohn betreten die Lehndorffs das Feld der großen Politik und der großen Abenteuer, weit weg vom ursprünglichen Kulmer Land, weit weg aber auch von der sumpfigen Steinorter Wildnis, in der die ersten Eichen wuchsen, während die Kutschwagen nach langen harten Wintern regelmäßig tief im Morast versanken.

Über diese ersten politischen Vorfahren hat Hans von Lehndorff eine hinreißende kleine Familienskizze geschrieben:

»Meinhards Sohn, der den eigentümlichen Namen Ahasverus (Ahasverus Gerhard 1637–1688) trug, wurde 1637 geboren; er war erst zwei Jahre alt, als sein Vater starb. Seine Mutter, eine geborene zu Eulenburg, hatte ihren Bruder zu seinem Vormund bestellt. Ahasverus verlebte seine Kindheit in Steinort, wurde dann auf verschiedene Schulen geschickt, auf denen ihm eine universale Bildung zuteil geworden ist.

Hans Graf Lehndorff: Menschen, Pferde, weites Land, S. 204–206

Lesen wir heute seine Tagebuchaufzeichnungen und die Briefe, die er als junger Mensch an seine Mutter und an Freunde geschrieben hat, erscheint es uns fast unverständlich, wie ein Mensch unter den damalig