Glaubt irgendjemand wirklich, was an den Reichenbachfällen passiert ist? Viele Berichte sind darüber geschrieben worden, aber mir scheint, dass bei allen das Wichtigste fehlt … nämlich die Wahrheit. Nehmen wir zum Beispiel dasJournal de Genève und Reuters. Ich habe sie von vorn bis hinten gelesen, was keineswegs leicht ist, denn sie sind in dieser qualvoll trockenen Art der meisten europäischen Blätter geschrieben, bei denen man immer den Eindruck hat, dass sie die Nachrichten nur zwangsweise abdrucken und nicht weil sie irgendwem etwas mitteilen wollen. Und was genau haben sie mir mitgeteilt? Dass Sherlock Holmes und sein herausragender Widersacher, Professor James Moriarty, sich getroffen haben und beide gestorben sind. Wenn man danach geht, wie viel Dramatik diese beiden maßgeblichen Presseorgane in ihre spröde Prosa einfließen ließen, könnte man denken, dass es um einen Verkehrsunfall ging. Sogar die Überschriften waren todlangweilig.
Aber was mich am meisten verblüfft, ist der Bericht von Dr. John Watson. Er beschreibt die ganze Geschichte imStrand Magazine, und sie fängt damit an, dass jemand am Abend des 24. April 1891 an die Tür seines Sprechzimmers klopft. Dann berichtet er von seiner Schweizreise. In meiner Bewunderung für den Chronisten, der die Abenteuer, Heldentaten, Fallstudien und Erinnerungen des großen Detektivs niedergeschrieben und veröffentlicht hat, lasse ich mich von niemandem übertreffen. Jetzt, wo ich vor meiner Remington-Nummer-Zwei-Schreibmaschine sitze (einer amerikanischen Erfindung natürlich) und dieses große Werk beginne, ist mir vollkommen bewusst, dass ich mich mit der Genauigkeit und Unterhaltsamkeit nicht messen kann, die er bis zuletzt aufrechterhielt. Dennoch muss ich mich fragen: Wie konnte er das alles so falsch verstehen? Wie konnte er Widersprüche übersehen, die selbst dem hirnlosesten Polizeichef noch absolut offensichtlich gewesen wären? Robert Pinkerton pflegte zu sagen: Eine Lüge ist wie ein toter Coyote. Je länger man ihn liegen lässt, desto mehr stinkt er. Er wäre der Erste gewesen, der gesagt hätte, dass die Geschichte von den Reichenbachfällen stank.
Sie müssen mir vergeben, wenn ich allzu emphatisch erscheine, aber meine Geschichte –diese Geschichte – beginnt nun einmal am Reichenbach und das Folgende ist unverständlich ohne eine genaue Untersuchung der Fakten. Wer ich bin? Nun, damit Sie wissen, in wessen Gesellschaft Sie sich befinden, will ich Ihnen sagen, dass mein Name Frederick Chase ist, ferner gehört es zu meiner Geschichte, dass ich Chefermittler bei der Detektivagentur Pinkerton in New York bin und damals zum ersten und wohl auch letzten Mal in Europa war. Meine Erscheinung? Nun, es ist wohl für niemanden einfach, sich selbst zu beschreiben, aber ich will ehrlich sein und gestehen, dass ich keine Schönheit bin. Mein Haar war damals noch schwarz, meine Augen sind von einem unauffälligen Braun. Ich war schlank, aber obwohl ich erst Mitte vierzig war, war ich von den Herausforderungen, die mir das Leben gestellt hat, schon arg mitgenommen. Verheiratet war ich nicht, und ich fragte mich manchmal, ob man das meiner Garderobe ansah, die wahrscheinlich ein bisschenzu gut getragen war. Wenn ein Dutzend Menschen in einem Raum saßen, war ich immer der Letzte, der etwas sagte. Das war meine Natur.
An den Reichenbachfällen war ich fünf Tage nach dem Zusammenstoß, den die Welt als »Das letzte Problem« kennt. Nun, wie wir heute wissen, war es durchaus nicht das Letzte, sondern eher das Erste von vielen Problemen.
Also! Fangen wir beim Anfang an!
Sherlock Holmes, der größte beratende Detektiv, der je gelebt hat, flüchtet aus England, weil er um sein Leben fürchtet. Dr. Watson, der diesen Mann besser als jeder andere kennt und nicht dulden würde, dass jemand ein böses Wort über ihn sagt, muss zugeben, dass Holmes derzeit nicht gerade in bester Form ist, sondern völlig ermattet von einer Zwangslage, die er nicht beherrscht. Kann man es