: Wolfgang Maria Siegmund
: Schäm dich, Europa Meer-Ethik in Anbetracht der Herzenge von Gibraltar
: Styria Verlag
: 9783990401927
: 1
: CHF 4.00
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses Buch ist ein wütender Protest gegen die denkfaule Duldung von Tod und Untergang. Ein Protest gegen die Art und Weise, wie sich die Europäer gegen die anderen abschirmen. Also eigentlich sind es ja die Mitteleuropäer, denn die Rumänen und die Kroaten und die Albanier und die Slowaken und all die anderen mit den unaussprechlichen Namen, die mögen wir ja auch nicht, wenn sie an die Tür des Wohlstands klopfen und höflich fragen, ob sie unsere Drecksarbeit machen dürfen. Während sich Menschen familienweise auf Schiffen übers stürmische Meer wagen, mit denen wir nicht einmal im Freibad fahren würden, sitzen wir in relativ sehr großer und absolut gesetzt immer noch erheblicher Behaglichkeit und Wohlstand zwischen trinkbarem Wasser und essbarem Gemüse und sehen ihnen im Fernsehen zu. Vielleicht wächst das Unbehagen, vielleicht sogar die Angst. Dieses Buch ist ein Pamphlet, eine wütende Empörung auf philosophischer Basis, Sartre und Derrida, Camus und Diogenes werden herangezogen, um die Verknüpfung von Moral, Ethos und Realpolitik zu einem funkelndsprachspielenden Text zu machen.

Wolfgang Maria Siegmund, geboren 1956 in Graz, hat sich konsequent in die Gruppe der wichtigen österreichischen Autoren hineingeschrieben. Vom Theaterstück (mehrfach preisgekrönt) und Hörspiel zur Lyrik und erzählenden Prosa reicht das Spektrum seiner wirkungsvollen Arbeiten. Seine Texte, erschienen in renommierten Verlagen, erreichen regelmäßig ein großes Lesepublikum. Nach einer ' Literaturpause' - in der er Philosophie studierte - kehrte er 2010 in den Literaturbetrieb zurück. 'Schäm dich, Europa' ist sein erstes Buch bei Styriabooks.

2.2 Vom maghrebinischen Derrida, dem ganz Anderen vom gegenüberliegenden Kap


„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Anti-Humanismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd mit diesem Gespenst verbündet …“12

Dieser nur in zwei Wörtern veränderte erste Satz desManifests der Kommunistischen Partei aus dem Jahre 1848 könnte den Beginn einer europäischen Geschichte bedeuten, die keine Mutter je ihren Kindern auch nur einmal erzählen möchte. Und dafür gibt es mannigfache Gründe:

Die Gespenstergeschichte handelt von einer nationalstaatlichen Engstirnigkeit, die sich seit Jahren tagtäglich an unseren Grenzen ereignet, sie spricht von einer neu aufkeimenden postkolonialen Schuld, die sich in jeden einschreibt, der als Bürger im Himmelbett von Burg-Europa zufrieden erwacht. Ich meine, Kinderohren wären der falsche Adressat für diesen Stoff, denn es handelt sich dabei um einen, den nur Erwachsene ihren Machthabern zu erzählen haben. Unentwegt, lautstark und fern postsubversiver 68er-Küchen. Vielleicht, das wäre die Hoffnung des Verfassers, risse diese Erzählung Europas Quoten- und Umfragedemokratien, deren Parlamente längst im Senderaum tagen, aus dem hegemonialen Schlaf. Noch ist es nicht so weit 

Worin, könnte man eingangs fragen, liegt das Beunruhigende dieser Gespenster, die der neue Anti-Humanismus millionenfach produziert? Liegt es an der Tatsache, dass sie nicht unserer Fantasie entspringen, an der Tatsache, dass sie nicht aus dem Jenseits nach uns herüberlangen? Von beiden etwas. Diese Gespenster sind erstmals aus echtem Fleisch und Blut und: Sie sind von hier. Oder sagen wir es präziser, nicht ganz von hier, eher Flüchtlinge von drüben, vom anderen Kap, die nur in Fällen erwünschter Dienerschaft auf der westlichen Wohlfühlmeile sich einzufinden haben. Also immer dann, wenn unser Verwöhnungsapparat personelle Engpässe hat.

Abb. 6

Im „humansten“ Fall sind sie ein Körper ohne Antlitz, ein Antlitz ohne Gesicht, eine Anschrift ohne Namen. Eine Anwesenheit in Schubhaft, eine Existenz für den Container. Und die EU? Gesetzt den Fall, der Mann im Mond würde mich danach fragen. Mit Trauer müsste man ihm zur Antwort geben, sie sei längst zur Entsorgung Unerwünschter geschrumpft und stehe unter stärkstem Verdacht, fleißig über Gesetzen zu brüten, wie man die Grundrechte eines jeden Menschen ganz legal in den Boden schrammt.

Würde ein weiterer Hinweis zu diesen uns so unheimlichen Gestalten eingefordert werden, dann wäre noch zu erwähnen: Nachdem wir eine große Zahl dieser Gestalten ins Herz der wahren Finsternis, also nach Amerika verschleppten, haben wir den Rest, der nicht mehr auf die Schiffe passte, geopolitisch von uns abgesprengt. Oder wie es der Buchtitel des karibischen Philosophen Stuart Hall so ganz treffend sagt:The West and the Rest.13

Hier an dieser Stelle müsste dieser Kontinent, der ste