: Clemens Sedmak
: Mensch bleiben im Krankenhaus Zwischen Alltag und Ausnahmesituation
: Styria Verlag
: 9783990402320
: 1
: CHF 8.90
:
: Philosophie, Religion
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Krankenhaus ist ein Mikrokosmos, in dem sich die ganze Bandbreite menschlichen Lebens zeigt. Doch es ist weder eine Reparaturwerkstatt noch ein Hotel, sondern eine Einrichtung mit eigenem moralischen Leben. Wie fühlt es sich an, in einem Krankenhaus zu arbeiten? Was bedeutet es, wenn man dort als Patient ist? Wie steht es um die Menschen in einem Krankenhaus? Was macht das Krankenhaus aus ihnen? Das Krankenhaus ist der Ort großer Hoffnungen und unangenehmer Wahrheiten, doch auch hier gibt es zwischen all den individuellen Situationen eine Struktur, die geprägt ist von Abläufen. Was ist eigentlich Gesundheit? ­Jedes Nachdenken darüber ist auch ein Nachdenken über ein ernsthaftes Leben, das auch von Sorge um sich selbst, von Ansprüchen und Zielen geprägt ist. Gesundheit und das 'Ja zu sich selbst' sind untrennbar verknüpft. In diesem Buch werden Anhaltspunkte einer Ethik im Krankenhausalltag zusammengetragen - insbesonders auch für die Institution mit ihren ethischen Herausforderungen als 'mensch­lichem Krankenhaus'.

Clemens Sedmak, geboren 1971 in Bad Ischl, Oberösterreich, studierte Theologie, Philosophie, Christliche Philosophie und Sozialwissenschaften in Innsbruck, Linz, New York und an der ETH Zürich (Dr. phil., Dr. theol., Dr. phil. fac. theol.). Er ist Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg, Präsident der Salzburg Ethik Initiative und lehrt Sozialethik am King's College London. Autor zahlreicher Bücher, bei Styriabooks erschien der Band 'Geglücktes Leben. Eine Ethik für meine Kinder'.

ETHIK


In Gesprächen mit Müttern, die mit ihren Kindern Krankenhausaufenthalte absolvierten, hörten wir Sätze wie: „Äußerlichkeiten sind wichtig, wie du dich kleidest, ob du dich schminkst. Das hat einen Einfluss darauf, wie man dich im Krankenhaus behandelt“, oder: „Es macht einen Unterschied, ob der Titel auf derE-Card eingetragen ist oder nicht, man geht mit dir anders um, wenn du einen akademischen Titel hast“, oder: „Manche Eltern haben ganz unverschämte Ansprüche, gerade auch, wenn es um die Kinder geht. Da tut mir manchmal das Personal leid“, oder: „Das Wichtigste sind wohl Wertschätzung und Höflichkeit. Wie man behandelt wird. Wenn du deinerseits dem Personal höflich begegnest und Wertschätzung entgegenbringst, wirst du auch eher höflich behandelt werden.“

Ethik: das Nachdenken über das Gute

Hier zeichnen sich Aspekte ab, bei denen man an einer kleinen Ethik für ein Krankenhaus bauen könnte. Immer wieder geht es bei solchen Überlegungen um den richtigen Umgang. In einem Interview erzählte eine Krankenschwester, die auf der Intensivstation arbeitet:

„Ein heikles Thema sind auch Alkoholiker und Drogenkranke. Da muss ich mich auch zusammennehmen. Ich sage mir immer vor, jeder Alkoholiker habe einfach auch eine Vorgeschichte und es ist jetzt nicht dem sein Ermessen, dass er das jetzt wollte. Sondern der wird auch anders reingeschlittert sein, aber man tut sich bei Alkoholikern sehr schwer in der Betreuung, weil die teilweise extrem ungehalten sind, und die sind meisten auch im Entzug, aber das ist mehr lindernd als bessermachend. Und wir bekommen recht viele Alkoholiker, auf der internen Seite. Da haben wir schon einigen ein paar Wochen aus dem Leben rausgeholt. Aber du weißt ganz genau, du hackelst da voll rein, und der geht heim oder geht nur von der Intensivstation raus, auf der Station kannst du den auch nicht überwachen, und geht und holt sich sein nächstes Bier. Aber du hast da gearbeitet und die kosten dich viel Kraft. Weil diese Menschen sind multiorgankrank … Da fällt es mir schwer, dass ich da so tu’ wie bei jedem anderen.“

Auf diese Weise ergibt sich eine Reihe von ethischen Fragen, etwa: Wo und wie kann man „delikate Angelegenheiten“ besprechen? Wie kann man einem Patienten, einer Patientin, die stets eine bestimmte und unverwechselbare und mitunter tragische Vorgeschichte haben, gerecht werden? Woher nehmen Menschen mit Verantwortung für die Betreuung, Pflege und Begleitung von Patient/​inn/​en die Kraft, ihren Dienst zu tun? Wie ist mit schwierigen Patient/​inn/​en umzugehen, also mit Patientinnen und Patienten, die wenig Geduld, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft zeigen? Welche Rechte haben Patient/​inn/​en? Welche Rechte hat das Personal in einem Krankenhaus? Gibt es auch so etwas wie „Patient/​inn/​en-Pflichten“? Gibt es hoffnungslose Fälle? Soll die Verweigerung von „Compliance“ Konsequenzen haben? Wie ist mit Menschen umzugehen, deren Lebenssituation so komplex ist, dass die gesundheitlichen Probleme nur die Spitze des Eisbergs an Lasten und Lebensherausforderungen sind? Wann kann ein Mensch guten Gewissens aus einem Krankenhaus entlassen werden?

Ethik ist das Bemühen, systematisch über solche Fragen nachzudenken. Ethik ist das Nachdenken über das Gute; das kann sich auf das gute Leben beziehen, auf den guten Charakter und die gute Person, oder auch auf die gute Handlung, die gute Institution oder die gute Entscheidung. Während wir in der Regel