1
Lockruf
Als ich den Club gegen fünf betrat, war noch nicht viel los. Höchstens ein Dutzend Männer bevölkerten den weitläufigen Lounge-Bereich oder hockten an der langen Bar aus künstlichem Bambus. Ich hörte Denningers dröhnendes Lachen bereits, bevor ich ihn oder die anderen sah. Kurz entschlossen hielt ich auf unsere angestammte Sitznische zu.
Im Vorbeigehen bestellte ich bei einem der Mädchen einen Gin Tonic. Passend zur Clubeinrichtung, die einer rustikalen Jagdhütte nachempfunden war, trugen die Bedienungen imHunting Gentleman karierte Hemden und Bluejeans, beides allerdings durchaus vorteilhaft geschnitten.
Über dicke Lagen Tierfelle– Spenden von Clubmitgliedern, ebenso wie die Jagdtrophäen, Pokale und historischen Flinten an den holzvertäfelten Wänden– umrundete ich den Kamin. Es war ein Koloss aus roh behauenem Naturstein, und wie zu jeder Tages- und Nachtzeit flackerte ein anheimelndes Feuerchen darin– ein künstliches, jedoch mit einem höchst realistischen Prasselgeräusch, das als Endlos-Loop aus unsichtbaren Lautsprechern drang. Die Brandschutzbestimmungen erlaubten kein offenes Feuer– wenig verwunderlich, immerhin befanden wir uns nicht in den Tiefen der kanadischen Wälder, sondern vierundzwanzig Stockwerkeüber den smogverseuchten Straßenschluchten New Yorks.
Jenseits der Feuerstelle saßen, genau wie ich erwartet hatte, Denninger, Lacroix und Christensen in den dick gepolsterten Kolonialstil-Sofas unserer Nische und tranken Whisky oder Brandy. Daneben stand ein zweieinhalb Meter hoher, in Angriffsposition präparierter Kodiakbär. Bei ihnen war ein kleiner, blasser Mann in einem zerknitterten Sakko, den ich noch nie gesehen hatte.
Lacroix hielt ein iPad in der Hand und war offenbar gerade dabei, irgendwelche Bilder oder Videos vorzuführen. Die anderen beugten sich aufmerksamüber den Tisch, um nichts zu verpassen.
»Ah, Scroaty!« Denninger hob grüßend die Hand, als ich mich der Sitzgruppe näherte.»Sie kommen genau richtig. Lacroix zeigt Aufnahmen von seinem Trip nach Namibia.«
Jetzt sahen auch die anderen auf. Ich grüßte in die Runde, bedachte den Fremden mit einem unverbindlichen Nicken und ließ mich neben Christensens schlaksiger Gestalt in die Polster fallen. Augenblicke später erschien das Mädchen und stellte lächelnd einen Gin Tonic vor mir auf das polierte Mahagoni.
Ich erinnerte mich: Lacroix war nach Afrika geflogen, vor knapp zwei Wochen. Da er dort, genau wie der Rest von uns, längst alles zur Strecke gebracht hatte, was man für Geld und gute Worte schießen konnte, war er ohne bestimmtes Ziel aufgebrochen.»Mal sehen, was mir vor die Flinte läuft«, waren die letzten Worte gewesen, die ich von ihm gehört hatte.
»Und?«, erkundigte ich mich und nippte an meinem Drink. Er war stark, wie ich es schätzte, mit genau der richtigen Menge zerstoßenem Eis.»Erfolgreich gewesen?«
»Comme ci, commeça.« Robert Lacroix, ein drahtiger, kaum einen Meter siebzig großer Frankokanadier, zwirbelte mit einer Hand seinen akkurat gestutzten Oberlippenbart. Mit der anderen hielt er mir das iPad hin.
Ich nahm es und warf einen Blick darauf. Zu sehen war Lacroix,über einem erlegten Kudu kniend, seine geliebte Browning Bar Zenith Ultimate im Arm. Die Flinte war seinem persönlichen Geschmack entsprechend umgerüstet, Verschluss, Brücke, Spanner sowie sämtliche Applikationen waren mit Echtgoldüberzogen und mit aufwendigen Gravuren versehen. Ich wechselte zum nächsten Bild: Lacroix mit einem Oryx-Bock mittlerer Größe. Das Gehörn war gut entwickelt, jedoch nichts Außergewöhnliches. Das dritte Foto zeigte Lacroixüber drei Springböcken.
»So weit ich mich erinnere, hängen in Ihrem Landhaus bereits mehrere Kudu-Geweihe, alter Freund«, bemerkte ich.
»Oui. Das ist korrekt.«
»Und mindestens drei Oryx-Gazellen.«
Nicken.
»Von unzähligen Springböcken ganz zu schweigen.«
Lacroix schwieg. Seine Miene war kühl, nahezu emotionslos. Nicht unbedingt der Gesichtsausdruck eines Mannes, der von einer zweiwöchigen Pirsch zurückkommt und mehrere ansehnliche Jagdtrophäen im Gepäck hat.
Ich wusste, wie er sich fühlte.
Denninger, Christensen, Lacroix und ich hatten in den letzten sieben Jahren in wechselnden Konstellationen, meist jedoch zu viert, auf alles Jagd gemacht, was man auf diesem Planeten schießen konnte. Wir hatten Zwergbüffel und Bongos in Kamerun erlegt, Löwen in Tansania, Kap-Büffel und Gnus in Mosambik, Flusspferde in Simbabwe. Wir waren zur Kodiak-Insel gereist, um den größten Braunbären der Welt zu schießen, und nach Kanada, wo sein nächster Verwandter lebte, der Grizzly. In erstaunlich kurzer Zeit hatten wir die komplette Liste jagbaren Großwilds abgehakt– und stellten fest, dass es nichtübermäßig schwierig war, auch die nicht freigegebenen Arten zu bejagen, wenn man das wollte. Geldöffnete, wie in den meisten anderen Bereichen des Lebens auch, alle Türen. Und an Barmitteln fehlte es keinem von uns. Die Jahresmitgliedschaft imHunting Gentleman betrug allein 30.000 US-Dollar, darüber hinaus wurde der Nachweis mindestens einer Großsafari pro Jahr gefordert. Peanuts für Lacroix, Denninger, Christensen und mich.
So kam es, dass wir uns bald erneut in Simbabwe wiederfanden, diesmal auf Leopardenjagd. Wir kehrten nach Mosambik zurück, um Krokodile z